Foto: Ein Foto von ein­er Kiste gefüllt mit zer­broch­en­em Geschirr und Buddhastatuen

Dieser Artikel ist eine erweit­erte Ver­sion des 2019 veröf­fentlicht­en Artikels “Das Archiv des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin-Frohnau”. Nach der Veröf­fentlichung des Textes wurde die Autorin von einem sri-lankischen His­torik­er mit Verbindun­gen zur dor­ti­gen Dhar­madu­ta Soci­ety kon­tak­tiert. Das 2021 ver­fasste Post­script gibt Ein­blick in diesen Aus­tausch. Falls Sie die ursprüngliche Ver­sion dieses Textes zitieren möcht­en, so find­en Sie ihn hier.

Inhaltsverze­ich­nis
Pub­lika­tio­nen im Archiv | Das Haus als Archiv | Der Zettelka­s­ten | Das Archiv der Dinge | Auflis­tung des Archivguts  |  Lit­er­aturverze­ich­nis  |  Kor­re­spondierende Archive
Post­script   |   1. Cey­lon als das „Mek­ka“ deutsch­er Bud­dhis­ten   |   2. Verbindun­gen des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin zu den Nation­al­sozial­is­ten   |   3. Die sing­hale­sis­che Mis­sion „für Deutsch­land“   |   4. Deutsch­land im Spiegel der sing­hale­sis­chen Presse   |   5. Eng­land in der Erin­nerungspoli­tik der sing­hale­sis­chen Bud­dhis­ten   |   Vor­läu­figes Faz­it   |  End­noten

Vorbe­merkung: Das Inter­esse der deutschen Leben­sre­form­be­we­gung richtete sich um 1900 vor allem auf Indi­en, das für die „Weisheit aus dem Osten“, die „Mys­tik“ und die „Reli­gion der Zukun­ft“ stand, aber auch für „Ari­er­tum“ und die „arische Seele“. Man näherte sich diesen Phänome­nen durch religiöse Exper­i­mente und Ori­ent­fahrten an. Gle­ichzeit­ig öffneten diese Kon­tak­te auch vielfalti­gen Mis­sio­nen aus Indi­en, die nach dem ersten Weltkrieg in Deutsch­land Fuß fassten, Tür und Tor. Das Archiv der Moschee in Wilmers­dorf gibt Auskun­ft über 100 Jahre religiöse Kom­mu­nika­tion zwis­chen Berlin und Lahore, zwis­chen Theoso­phie und Leben­sre­form auf der einen und der islamis­chen Mod­erne auf der anderen Seite. Ana­log dazu gibt das Archiv des bud­dhis­tis­chen Haus­es Berlin, um das es in diesem Beitrag geht, Auskun­ft über 100 Jahre religiöse Kom­mu­nika­tion zwis­chen Berlin und Colom­bo: zwis­chen Theoso­phie und Leben­sre­form auf der einen und Bud­dhis­mus auf der anderen Seite. Zwis­chen bei­den Mis­sio­nen gab es vielfältige Ansätze der Kom­mu­nika­tion. Entsprechend kom­mu­nizieren auch die Archive miteinander.

1924 grün­dete Paul Dahlke (1865 — 1928) eine bud­dhis­tis­che Laienge­mein­schaft in Berlin-Frohnau. Hell­muth Heck­er, der ihm in seinem Werk Lebens­bilder deutsch­er Bud­dhis­ten einen Ein­trag wid­mete, berichtete, dass Dahlke zuerst The­olo­gie hat­te studieren wollen, sich jedoch nicht traute öffentlich zu sprechen. Stattdessen wurde Dahlke Arzt. Gle­ichzeit­ig beherrschte er Hebräisch, was auf eine tiefe Ver­wurzelung im Protes­tantismus ver­weist. Dahlke heiratete nicht, leis­tete sich dafür aus­gedehnte Reisen durch Asien. Um 1900, während sein­er zweit­en Reise (es wur­den ins­ge­samt acht) begann er, auf Cey­lon den Ther­ava­da Bud­dhis­mus zu studieren und Pali zu ler­nen, die Tra­di­tion und Schrift, in der die Über­liefer­ung Bud­dhas im Süden Indi­ens niedergelegt wurde.  Erst der erste Weltkrieg unter­brach seine Reisetätigkeit. Bis dahin hat­te Dahlke bere­its sieben große Abhand­lun­gen und zahlre­iche Auf­sätze über den Bud­dhis­mus pub­liziert (Heck­er 1990: 13–14, 16–18).

Im Zuge der europäis­chen Expan­sion­spoli­tik und der damit ein­herge­hen­den Kolonisierung Indi­ens gelangten auch neue Nachricht­en über den Bud­dhis­mus, der nun­mehr als Wel­tre­li­gion eingestuft wurde, in die west­liche Welt. 1879 pub­lizierte der Brite Edwin Arnold Light of Asia, eine viel­ge­le­sene Darstel­lung über das Leben Bud­dhas (Arnold 1879/2016). In Deutsch­land erregte der Reli­gion­shis­torik­er Rudolf Sey­del großes Auf­se­hen mit ein­er ver­gle­ichen­den Studie über die Lebens­geschicht­en  Jesu und Bud­dhas (Sey­del 1884). Durch solche und andere Pub­lika­tio­nen gewann der Bud­dhis­mus immer mehr an Pop­u­lar­ität und Respekt. Als die Grün­der der Theosophis­chen Bewe­gung, Hele­na Blavatsky und Colonel Olcott, aus der Zeitung erfuhren, wie britis­che Mis­sion­are den Bud­dhis­mus in öffentlichen Stre­it­ge­sprächen angrif­f­en, reis­ten sie nach Cey­lon und wur­den unter großer öffentlich­er Anteil­nahme Bud­dhis­ten (Lach­man 2012: 170–190; Marc­hand 2009: 270–274).

Aber nicht nur Europäer reis­ten nach Indi­en, um die Reli­gio­nen zu studieren, auch indis­che religiöse Denker kamen nach Europa, um ihre Welt­sicht­en und Glaubens­grund­sätze bekan­nt zu machen. So reiste zum Beispiel der Hin­du-Reformer Vivekanan­da 1894 nach Chica­go, um im World Par­lia­ment of Reli­gions seine Ansicht­en zu vertei­di­gen und im West­en eine Mis­sion­s­ge­sellschaft zu grün­den (Lüd­deck­ens 2002). Mis­sion­are der islamis­chen Reform­be­we­gung der Ahmadiyya grün­de­ten 1912 eine Mis­sion in Wok­ing (GB) und baut­en 1924 eine Moschee in Berlin (Jonker 2016: 36–63; Jonker 2019). Damit ver­sucht­en Hin­dus wie Mus­lime Sym­pa­thie und Ver­ständ­nis für ihre bedrängte Lage unter der Kolo­nial­herrschaft zu gewin­nen und baut­en ein dicht­es Netz von Kon­tak­ten zum West­en auf. Bud­dhis­ten im britis­chen Kolo­nial­re­ich, ob nun auf Cey­lon, in Bir­ma oder Kaschmir, unter­nah­men eine solche Kon­tak­tauf­nahme jedoch nicht. Das mag daran liegen, dass der Bud­dhis­mus eine Kloster­tra­di­tion her­aus­bildete, in der Mönche in größter Armut und Weltabgeschieden­heit lebten. Im  Fall des Bud­dhis­mus  ging der erste Schritt vom West­en aus. Es waren Deutsche wie Paul Dahlke die von ihren Reisen Büch­er, Ein­sicht­en und Sprachken­nt­nisse mit­bracht­en. Andere, zum Beispiel Anton Gueth (1878 — 1957) und Ernst Lothar Hoff­mann (1898 — 1985), bekehrten sich auf Cey­lon zum Bud­dhis­mus und grün­de­ten vor Ort eigene Klosterge­mein­schaften, in denen wiederum die näch­ste Gen­er­a­tion deutsch­er Bud­dhis­ten Auf­nahme fand (Heck­er 1990: 58–74 und 75–94).

Erst 1954, als der junge Nation­al­staat Sri Lan­ka ver­suchte diplo­ma­tis­che Beziehun­gen mit Europa zu knüpfen, wurde mit Hil­fe deutsch­er Bud­dhis­ten auf Sri Lan­ka eine Mis­sion­s­ge­sellschaft für Deutsch­land gegrün­det: Die Ger­man Dar­ma Dhuta Soci­ety Colom­bo. Daraufhin erfasste eine nationale Bewe­gung, die One-Mil­lion-Rupee-Move­ment, das ganze Land. Mit dem Erlös kaufte die Dar­ma Dhuta Soci­ety das Bud­dhis­tis­che Haus in Berlin-Frohnau und etablierte dort die erste bud­dhis­tis­che Mis­sion, die nicht von deutschen, son­dern von sri-lankischen Mönchen geleit­et wurde (Bikkhu Bod­hi 2000). So kehrten die Deutschen, die um 1900 aus­gereist  waren um in die Geheimnisse des Ori­ents einzu­drin­gen, als Bud­dhis­ten mit Mis­sion­sauf­trag nach Deutsch­land zurück. Anton Gueth, der kurz  nach Grün­dung der Mis­sion­s­ge­sellschaft in Sri Lan­ka starb, wurde in Colom­bo mit einem Staats­be­gräb­nis geehrt.

Das Bild zeigt sechs Männer (fünf stehend, einer sitzend) vor einem Gebäude, zwischen dessen Säulen ein Banner mit der Aufschrift "Buddhist Mission to Germany" gespannt ist.
Abb. 1 Grün­dung der Bud­dhist Mis­sion in Colom­bo (1954). Einger­ahmtes Bild im Ein­gangs­bere­ich des Bud­dhis­tis­chen Haus­es. © GJ Beschrei­bung: 2. von links: Wil­helm Niemöller; 4. von links: Sieg­mund Feniger; sitzend: Anton Gueth

Publikationen im Archiv

Wie beim Moscheearchiv in Berlin-Wilmers­dorf  han­delt es sich auch im Bud­dhis­tis­chen Haus um Archivgut ein­er pri­vat­en Organ­i­sa­tion. Was sich im Büro des Ver­wal­ters, auf dem Dachbo­den, im Ver­anstal­tungsraum und im Bib­lio­thekssaal ange­häuft hat, umfasst 100 Jahre gelebtes Archiv: Doku­mente zu Bautätigkeit­en, Predigten und Manuskripte, Belege über die Ver­wal­tung von Fes­ten und Ver­anstal­tun­gen sowie Mit­gliederkarteien. Hinzu kom­men andere Spuren gelebten Bud­dhis­mus, sowie eine beein­druck­ende Samm­lung bud­dhis­tis­ch­er Zeitschriften. Wie die Moschee, so nahm inzwis­chen auch das Bud­dhis­tis­che Haus Kon­takt zum Lan­desarchiv Berlin auf. Damit wurde der erste Schritt zur dauer­haften Auf­be­wahrung und öffentlichen Nutzbarkeit des Archivs getan.

Damit hören die Übere­in­stim­mungen zwis­chen bei­den Häusern aber auch auf. Der größte Unter­schied zwis­chen bei­den Mis­sio­nen ist in deren jew­eili­gen Blick­rich­tun­gen zu suchen. Die mus­lim­is­chen Mis­sion­are aus Lahore bracht­en Inter­esse an der Lebenswelt ihrer deutschen Gemein­demit­glieder mit. Um sich ein Bild des „Anderen“ im religiösen Erleben dieser Deutschen zu machen schafften sie sich Lit­er­atur über Theoso­phie und Leben­sre­form an. Hinge­gen sam­melten die Deutschen im Bud­dhis­tis­chen Haus alles was sie als ‚das Geheim­nis Indi­ens’ betra­chteten: neben den kanon­is­chen Tex­ten des Ther­ava­da-Bud­dhis­mus waren das auch Reise­berichte über Indi­en und Tibet sowie Abhand­lun­gen über Mys­tik, Yoga, Sri Aurobindu und Krish­na­mur­ti. In der Tat bildete sich der deutsche Bud­dhis­mus im Umfeld der Theosophis­chen Bewe­gung her­aus. Viele sein­er Anhänger, die im bud­dhis­tis­chen Haus Bud­dhist gewor­den waren, kamen aus der Leben­sre­form­be­we­gung oder waren Theosophen, bevor sie zum Bud­dhis­mus über­trat­en (Bigalke 2013, Mürmel 2001).

Die Auf­fas­sun­gen darüber, was Bud­dhis­mus sei, divergierten zwis­chen bei­den Grup­pen. Die Grün­derin der Theoso­phie Ele­na Blavatsky erblick­te in der Bud­dha-Lehre eine Man­i­fes­ta­tion des ver­bor­ge­nen Welt­geistes. Ihr ging es um das dahin­ter­liegende eso­ter­ische Wis­sen, das Bud­dha in Teilen enthüllt haben sollte (Blavatsky 1890: 61–83). Paul Dahlke, der Grün­der ein­er puri­tanis­chen, manch­mal gar protes­tantisch anmu­ten­den Form des Bud­dhis­mus, hinge­gen erblick­te im Bud­dhis­mus einen Weg um sich vom „Ich“ zu befreien und im „Nicht-Selb­st“ aufge­hen zu lassen (Dahlke 1926: 89–93). Um sein Pro­fil zu schär­fen musste er sich also abgrenzen.

Zeitschriftenschrank des Archivs des Buddhistischen Hauses
Abb. 2 Der Zeitschriften­schrank © GJ

Die hau­seige­nen Pub­lika­tio­nen „Neu-Bud­dhis­tis­che Zeitschrift“ (1918–1923) und „Brock­en-Samm­lung“ (1924–1938), die bei­de auss­chließlich mit Dahlkes Beiträ­gen gefüllt wur­den, boten ihm eine Plat­tform, um seine Auf­fas­sun­gen gegen diejeni­gen ander­er (deutsch­er und englis­ch­er) Bud­dhis­ten zu vertei­di­gen. Die vie­len ver­schiede­nen Zeitschriften aus dieser Zeit weisen nicht nur auf eine rege Pub­lika­tion­stätigkeit hin, son­dern auch darauf, dass im west­lichen Bud­dhis­mus Sek­tier­ertum um sich griff. Die Autorin dieses Essays zählte im Archiv neben den bei­den Zeitschriften von Dahlke 38 ver­schiedene Zeitschriften. Darüber hin­aus existierte noch eine weit­ere Hauss­chrift, die nicht direkt im Haus, son­dern auf dem Gelände des Bud­dhis­tis­chen Haus­es her­aus­gegeben wurde. „Bud­dhis­tis­ches Denken und Leben (BDL)“ (1930 — 1943) war das Sprachrohr der Bud­dhis­ten um Kurt Fis­ch­er, die nach dem Tod Dahlkes aus der Vil­la aus­ge­zo­gen waren und sich ein eigenes Haus auf dem Gelände errichtet hat­ten. Es war ein Schis­ma in näch­ster Nähe. Um was es dabei ging, ist der Zeitschrift impliz­it zu ent­nehmen. In der BDL wurde der soge­nan­nten bud­dhis­tis­chen Theoso­phie in Gestalt von C.G. Jung ein fes­ter Platz eingeräumt. Bekan­ntlich trat der Schweiz­er Psy­cho­an­a­lytik­er Jung auch für Para­psy­cholo­gie, Eso­terik, Sophis­mus und christliche Mys­tik ein. Indem die BDL seine Artikel druck­te, bekan­nte die Zeitschrift sich expliz­it zu diesen The­men­feldern. Eine solche Erweiterung bud­dhis­tis­ch­er Inter­essen war unter Dahlke nicht denkbar gewe­sen, und unter der Leitung Bertha Dahlkes, die ihrem Brud­er 1928 fol­gte, wurde sie schlicht verboten.

Das Haus als Archiv

Im Bud­dhis­tis­chen Haus wer­den diese Abgren­zungs­be­stre­bun­gen vielle­icht am direk­testen im Bau­plan sicht­bar. Im Haus gab es näm­lich keine Küche. „Jed­er war Selb­stver­sorg­er. Auf einem kleinen Bren­ner wurde als einzige Nahrung gekochter Reis, Hirse oder Hafer­flock­en (…) bere­it­et“ (Girod 1974:83). Dahlke sah im „Nahrungsvor­gang“ nichts anderes als einen kleinzuhal­tenden „Ich-Vor­gang“. Für ihn galt: „alle Nahrung ist Elend“ (Dahlke 1918:24). Zwar sollte ein Bud­dhist Nahrung zu sich nehmen, aber „Erleben muß ein jed­er für sich sel­ber, so wie ein jed­er für sich sel­ber essen muß“ (Dahlke 1926: 6).

Zu sehen sind zwei Ansichten des Hauses im Stil einer technischen Zeichnung.
Abb. 3 Bau­plan des Haus­es 1924 © Stadtarchiv Berlin-Reinickendorf

Wo es um Essen, Gemein­schaft und Gesel­ligkeit ging, tren­nte eine tiefe Kluft den Frohnauer Bud­dhis­ten nicht nur von Leben­sre­formern und Theosophen, son­dern auch von anderen Bud­dhis­ten. Die hau­seige­nen Pub­lika­tio­nen bieten in der Hin­sicht eine reiche Lek­türe. Erst 1957, als die Ger­man Dar­ma Dhuta Soci­ety das Haus bezog, wurde eine Küche ange­baut um die resi­dieren­den Mönche zu ver­sor­gen. Diese Tat­sache ver­rät  mehr über die Unter­schiede zwis­chen dem deutschen und dem indis­chen Bud­dhis­mus als alle Predigten und Pub­lika­tio­nen zusammen.

Der Zettelkasten

Das Vorkriegsarchiv im Bud­dhis­tis­chen Haus kön­nte man auch als „Dahlke-Archiv“ beze­ich­nen.  Es umfasst seine Schriften und Noti­zen, Über­set­zun­gen sein­er Texte, seine Aufze­ich­nun­gen für ein Pali-Wörter­buch, sowie ver­schiedene Arbeit­en sein­er Schüler und Geg­n­er, darunter Lavinia von Monts, Kurt Fis­ch­er, Mar­tin Steinke und Gui­do Auster (Heck­er 1997). Am unmit­tel­barsten jedoch ist Dahlke in den mit Band zugeschnürten Bün­deln von Karteikarten zuge­gen, die einst den Inhalt (oder einen Teil) seines Zettelka­s­tens bildeten.

Ihre kur­sorische Durch­sicht ergab, dass die früh­esten Noti­zen das Datum 1874 tra­gen und auf der Rück­seite eines Kon­sis­to­ri­um-Rund­schreibens geschrieben wur­den. Wer die Süt­ter­lin­schrift entz­if­fern kann, find­et hier Fra­gen, Gedanken, abgeschriebene Zitate oder auch Hebräisch-Übun­gen in unbe­holfen­er Kinder­hand. Sollte sich erweisen, dass Paul Dahlke ein Leben lang die Gewohn­heit hat­te, sich über alles und jeden Noti­zen zu machen, so wäre damit eine reiche Quelle vorhan­den, die über die Übergänge zwis­chen deutschem Protes­tantismus und deutschem Bud­dhis­mus im Pris­ma seines Lebens Auf­schluss geben könnte.

Das Archiv der Dinge

Der Einzug bud­dhis­tis­ch­er Mönche aus Sri Lan­ka in das Bud­dhis­tis­che Haus Berlin-Frohnau im Jahr 1957 läutete einen Bruch mit der Ver­gan­gen­heit ein. Ihr Stil war ein ander­er, ihre Ver­wal­tung des Haus­es hin­ter­ließ im Archiv ganz andere Spuren. Der Mönch Sri Gnanaw­im­i­la etwa, der dem Haus von 1965 bis 1985 vor­stand, hin­ter­ließ keine Zeitschrift son­dern ca. einen Meter getippter und handgeschrieben­er Predigten, umfan­gre­iche Kor­re­spon­den­zen mit der Soci­ety in Colom­bo sowie 24 Ord­ner mit Ver­wal­tung­sun­ter­la­gen. Seine Amt­szeit war geprägt von einem neuen Inter­esse an östlichen Reli­gio­nen und Philoso­phien, auf das er mit Lehrre­den, dem Bau von Med­i­ta­tion­sklausen sowie Yoga- und Med­i­ta­tion­skursen reagierte. Mit Sek­tier­ertum hielt er sich nicht auf; alle, die sich aus welchem Grund auch immer inter­essierten, waren ihm willkom­men. Augen­zeu­gen bericht­en, dass sich in der Kernzeit manch­mal bis zu 1.500 Besuch­er auf dem Gelände befan­den. Eine andere Hin­ter­lassen­schaft dieser Zeit ist die Tra­di­tion der Beiset­zung zer­broch­en­er Bud­dha-Stat­uen, die, von Schülern vor­beige­bracht, ein­mal im Jahr zer­e­moniell im Bud­dha-
Gemein­schafts­grab ver­graben wer­den. Auch das ist ein Archiv: ein Archiv der Dinge, das sich nach und nach unter die Erde ver­lagert hat.

Kiste mit zerbrochenen Buddha-Statuen aus dem Archiv
Abb. 6 Zer­broch­ene Bud­dha-Stat­uen warten im Kar­ton auf ihre Beerdi­gung. © GJ

Auflistung des Archivguts (außer Bibliothek)

Vor dem Krieg

  • Paul Dahlke: alle Pub­lika­tio­nen (25 Bücher)
  • Zwei Bün­del Karteikarten aus dem Handzettelka­s­ten von Paul Dahlke
  • 10–15 gebun­dene Hefte mit Über­set­zun­gen von Dahlkes Tex­ten ins Englische
  • Entwürfe für Pali-Wörter­büch­er (Gui­do Auster, Lavinia von Monts)
  • Dis­ser­ta­tio­nen über Dahlke (in Typoskript)
  • Kor­re­spon­den­zen zwis­chen Kurt Fis­ch­er und Ver­la­gen in Leipzig (1920 – 1934)
  • Mar­tin Steinke: Per­sön­lich­es, Schriften
  • Pho­togra­phien von Ori­en­treisen aus dem Besitz von Paul Dahlke (1900)
  • Fotos und Zeitungsauss­chnitte über das Bud­dhis­tis­che Haus (1934)
  • Zeitungs­berichte über den Bud­dhis­mus in Japan, Hongkong, Taiwan

Nach dem Krieg

  • Sri Gnanaw­imala: Vorträge und Predigten (1965–1980)
  • Sri Gnanaw­imala: Kor­re­spon­den­zen mit der Soci­ety in Colom­bo (1965–1975)
  • Gui­do Auster: Bib­lio­thek­sko­r­re­spon­denz (1960–1984)
  • Ein Holzkas­ten mit der Mit­glied­skartei (1960–1970er)
  • Unter­la­gen der Ger­man Dhar­madu­ta Soci­ety (1985–1990)
  • Mit­glied­santräge der GDS Colom­bo 1954, Adressbücher
  • 24 Ord­ner mit Doku­menten zur Hausver­wal­tung, Bankauszü­gen, Rech­nun­gen (1960–1998)
  • 10 Fotoal­ben
  • In Tuch eingeschla­gene Pali-Texte auf Palmblatt
  • Mehrere Kistchen mit zer­broch­enen Buddha-Statuen

Bau-Unterlagen

  • 36 Map­pen und Leit­zord­ner mit Bauplänen
  • 3 Map­pen mit Bauzeichnungen
  • 1 Rolle mit Bauze­ich­nun­gen für die Bibliothek
  • Unter­la­gen für den Bau ein­er Friedenspagode

Literaturverzeichnis

Arnold, Edwin, Light of Asia, or The Great Renun­ci­a­tion: being the life and teach­ing of Gau­ta­ma, prince of India and founder of Bud­dhism (1879). Lon­don: Rout­ledge, 2016.

Bho­di, Bhikkhu, Pro­mot­ing Bud­dhism in Europe, 2000, https://www.budsas.org/ebud/ebdha194.htm. (Last accessed on: 11.11.2019)

Bigalke, Bernadett, Leben­sre­form und Eso­terik um 1900. Würzburg: Ergon, 2013.

Blavatsky, Hele­na P., The Key to Theos­o­phy. New York: Ser­apis Clas­sics, 1890.

Dahlke, Paul, „Indis­che Skizze“. Neu-Bud­dhis­tis­che Zeitschrift (1918): S. 24–25.

——–, „Unser Haus“ und „Buchbe­sprechung von Georg Grimm, Die Wis­senschaft des Bud­dhis­mus“. Die Brock­en­samm­lung : Zeitschrift für ange­wandten Bud­dhis­mus (1926): S. 4–6 und 89–93.

Girod, Dorothea, „Spaziergänge mit Dok­tor Dahlke“. In: 50 Jahre Bud­dhis­tis­ches Haus. Berlin-Frohnau, 1974, S. 80–84.

Heck­er, Hell­muth, Lebens­bilder deutsch­er Bud­dhis­ten. Ein Bio-Bib­li­ographis­ches Hand­buch. Band I: Die Grün­der. Kon­stanz: Uni­ver­sität Kon­stanz, 1990.

——–, Lebens­bilder Deutsch­er Bud­dhis­ten. Ein Bio-Bib­li­ographis­ches Hand­buch. Band II: Die Nach­fol­ger. Kon­stanz: Uni­ver­sität Kon­stanz, 1997.

Jonker, Ger­di­en, The Ahmadiyya Quest for Reli­gious Progress. Mis­sion­iz­ing Europe 1900 — 1965. Lei­den: EJ Brill, 2016.

——–, „Das Moscheearchiv in Berlin-Wilmers­dorf: Zwis­chen mus­lim­is­ch­er Mod­erne und deutsch­er Leben­sre­form“. MIDA Archival Reflex­i­con (2019). https://www.projekt-mida.de/reflexicon/das-moscheearchiv-in-berlin-wilmersdorf_zwischen-muslimischer-moderne-und-deutscher-lebensreform/. (Last accessed on: 11.11.2019)

Lach­mann, Gary, Madame Blavatsky. The Moth­er of Mod­ern Spir­i­tu­al­ism.  New York: Pen­guin, 2012.

Lüd­deck­ens, Dorothea, Das Welt­par­la­ment der Reli­gio­nen. Struk­turen inter­re­ligiös­er Begeg­nung im 19. Jahrhun­dert. Berlin: De Gruyter, 2002.

Marc­hand, Suzanne L., Ger­man Ori­en­tal­ism in the Age of Empire. Reli­gion, Race, and Schol­ar­ship. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press, 2009.

Mürmel, Heinz, „Bud­dhis­mus und Theoso­phie in Leipzig vor dem ersten Weltkrieg“. In: Man­fred Hüt­ter (Hg.) Bud­dhis­ten und Hin­dus im deutschsprachi­gen Raum. Berlin: Peter Lang, 2001, S. 123–136.

Sey­del, Rudolf, Die Bud­dha-Leg­ende und das Leben Jesu nach den Evan­gelien.  Leipzig: Otto Schulze, 1884.

Korrespondierende Archive

Die Uni­ver­sität Göt­tin­gen, Indol­o­gis­ches Sem­i­nar, ver­wahrt (Teil-)Nachlässe einiger deutschen Buddhisten.

 

Ger­di­en Jonker, Erlanger Zen­trum für Islam und Recht in Europa (EZIRE), Friedrich-Alexan­der Uni­ver­sität Erlan­gen, 2019

Postscript

Nach­dem Ende 2019 der obige Beitrag erschienen war, nahm der Sekretär und Archivar der Ger­man Dhar­madu­ta Soci­ety (GDS) in Colom­bo, Sena­ka Weer­arat­na, ein Neffe von Aso­ka Weer­arat­na, des Mis­sion­ars also, der 1953 nach Deutsch­land entsandt wurde (s. unten), Kon­takt zu mir auf. Er hat­te den Text gele­sen und kri­tisierte die aus sein­er Sicht fehlende Per­spek­tive der Bud­dhis­ten in Sri Lan­ka. Diese würde, laut Sena­ka Weer­arat­na, bis heute im Archiv der Ger­man Dhar­madu­ta Soci­ety in Colom­bo bewahrt. Obwohl er als­bald eine Ein­ladung nach Colom­bo aussprach, um das dor­tige Archiv zu besichti­gen, kon­nte die Reise wegen Pan­demie-bed­ingter Ein­schränkun­gen nicht ange­treten wer­den. Stattdessen trat­en wir in einen aus­gedehn­ten Mailaus­tausch, in dem er mich vor allem darüber informierte, wie sich die Geschichte des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin aus sein­er Sicht als Vertreter der sing­hale­sis­chen Bud­dhis­ten darstellt. Unsere Mailko­r­re­spon­denz erwies sich für mich als eine unver­hoffte Möglichkeit, Ansicht­en der GDS in Colom­bo über die Geschichte des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin in Erfahrung zu brin­gen. Das fol­gende Post­script fasst unsere Kor­re­spon­denz zusam­men, ergänzt so den Aus­gang­s­text um die Infor­ma­tio­nen und lädt zu weit­er­führen­der kri­tis­ch­er Beschäf­ti­gung mit der Geschichte des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin und kor­re­spondieren­den Archivbestän­den ein.

Die Ger­man Dhar­madu­ta Soci­ety ist eine Mis­sion­sor­gan­i­sa­tion. Knapp zehn Jahre nach Ende des zweit­en Weltkrieges entsandte sie eine Mis­sions­del­e­ga­tion nach Deutsch­land und erwarb das Bud­dhis­tis­che Haus in Berlin. Der ersten Del­e­ga­tion der GDS gehörten sieben Mönche an. Ihre Entsendung wurde in Sri Lan­ka wie ein nationales Ereig­nis behan­delt. So war der Min­is­ter­präsi­dent per­sön­lich bei der Ver­ab­schiedung zuge­gen, und die Colom­bo Times berichtete regelmäßig über den Ver­lauf der Reise. In der Dhar­madu­ta Soci­ety wurde ein Archiv ein­gerichtet, in dem nicht nur alle Doku­mente im Zusam­men­hang mit dieser Mis­sion auf­be­wahrt, son­dern auch Mate­ri­alien über die Spuren, die deutsche Bud­dhis­ten in der ersten Hälfte des 20. Jh. in Sri Lan­ka (damals: Cey­lon) hin­ter­lassen hat­ten, gesam­melt wur­den. Auch die Geschichte der bud­dhis­tis­chen Mis­sion in Berlin, von ihrer Entste­hung bis in die heutige Zeit, soll in diesem Archiv doku­men­tiert sein. Als Sekretär der Gesellschaft in Colom­bo und Ver­ant­wortlich­er für die archivalis­chen Bestände der GDS war mein Mail­part­ner also bestens ver­traut mit der Geschichte des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin.

Es stellte sich schnell her­aus, dass im Bud­dhis­tis­chen Haus in Berlin und der Ger­man Dhar­madu­ta Soci­ety in Colom­bo, obwohl zur sel­ben Mis­sion­s­ge­sellschaft gehörend, unter­schiedliche Doku­mente gesam­melt wur­den. Wie bere­its beschrieben umfasst das Berlin­er Archiv in erster Lin­ie den Nach­lass Paul Dahlkes, des Grün­ders der bud­dhis­tis­chen Laienge­mein­schaft in Berlin. Als die Nachkriegs-Mis­sion ein­mal ein­gerichtet war, kamen Mit­gliederlis­ten, Predigten, Doku­mente zu Bauak­tiv­itäten und Berlin­er Zeitungs­berichte hinzu. Das GDS-Archiv in Colom­bo sam­melte hinge­gen alles, was über die Geschichte der deutschen Bud­dhis­ten in Cey­lon bekan­nt war. Vor dem zweit­en Weltkrieg hat­ten lokale Bud­dhis­ten im britisch ver­wal­teten Cey­lon Hil­fe bei jenen deutschen Bud­dhis­ten gesucht, die eine Nieder­las­sung auf der Insel errichtet hat­ten. In diesem Zusam­men­hang wurde auch sorgfältig beobachtet, wie sich 1933 die poli­tis­chen Ver­hält­nisse in Deutsch­land änderten und welche Posi­tio­nen deutsche Bud­dhis­ten den Nazis gegenüber ein­nah­men. Nach dem Krieg betra­chtete der junge Nation­al­staat Sri Lan­ka diese Koop­er­a­tion als einen Beitrag zur Nation­al­staatswer­dung. Die Ver­schränkung mit den deutschen Bud­dhis­ten wurde ein Argu­ment zur Begrün­dung des Nation­al­stolzes.  Die Regierung von Sri Lan­ka bot der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land bere­its 1951 Hil­fe und Unter­stützung an. Es fol­gten 1953 die Entsendung ein­er Mis­sion mit offizieller staatlich­er Unter­stützung und 1957 der Erwerb des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin als Mis­sion­sposten.  Als 1957 Anton Gueth, der älteste in Cey­lon tätige deutsche Mönch, vor Ort starb, wurde er mit einem Staats­be­gräb­nis geehrt.

Sena­ka Weer­arat­na machte mich auf eine Rei­he von Doku­menten aufmerk­sam, die im Archiv in Colom­bo auf­be­wahrt wer­den und von sein­er Organ­i­sa­tion dig­i­tal­isiert und online gestellt wur­den. Nach Mei­n­ung meines Kor­re­spon­den­z­part­ners könne eine gründliche Auswer­tung dieser Doku­mente zukün­ftig dazu beitra­gen, die Geschichte des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin bess­er zu kon­tex­tu­al­isieren, indem die sing­hale­sis­chen Aktiv­itäten und Posi­tio­nen stärk­er ein­be­zo­gen wür­den. Nach einge­hen­der Sich­tung kon­nten die mir zuge­sandten Doku­mente fol­gen­den The­men­bere­ichen zuge­ord­net werden:

  1. Cey­lon als das „Mek­ka“ deutsch­er Buddhisten
  2. Verbindun­gen des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin zu den Nationalsozialisten
  3. Die sing­hale­sis­che Mis­sion „Für Deutschland“
  4. Deutsch­land im Spiegel der sing­hale­sis­chen Presse
  5. Zur Erin­nerungspoli­tik Sri Lankas

Im Fol­gen­den wer­den diese The­men­bere­iche kurz umris­sen und prä­gende Beispiele des mir zuge­sandten Mate­ri­als ange­fügt. Die Schlussfol­gerun­gen im Anschluss daran geben eine erste Ein­schätzung zu den unter­schiedlichen samm­lungspoli­tis­chen Ansätzen des Archivs im Bud­dhis­tis­chen Haus in Berlin und des GDS-Archivs in Colombo.

1. Ceylon als das „Mekka“ deutscher Buddhisten

Die Beziehun­gen zwis­chen deutschen und sing­hale­sis­chen Bud­dhis­ten began­nen 1904, als Anton W.F. Gueth / Nya­natilo­ka Maha Thera (1878 — 1957) die Island Her­mitage in Dodan­duwa grün­dete. Die Island Her­mitage empf­ing einen ständi­gen Strom deutsch­er Besuch­er, darunter auch Paul Dahlke, den deutschen Arzt, der durch Selb­st­studi­um zum Bud­dhis­mus fand und das erste bud­dhis­tis­che Kloster in Deutsch­land errichtete. Gueth ini­ti­ierte einige dieser deutschen Bud­dhis­ten zum Mönch. Auf Gueth fol­gten Sieg­mund Feniger / Nyanaponi­ka Thera (1901 — 1994) und Friedrich Möller / Nyanav­i­mala Thera (1911 — 2005). Bis heute begin­nen sing­hale­sis­che Darstel­lun­gen zur Geschichte des deutschen Bud­dhis­mus mit Arthur Schopen­hauer, gefol­gt von Friedrich Niet­zsche, um sich dann der Island Her­mitage zu wid­men (Schopen­hauer — Niet­zsche — Gueth; manch­mal auch: Schopen­hauer — Niet­zsche – Dahlke). Aus­ge­hend von dieser Genealo­gie wird der Über­gang zum heuti­gen Bud­dhis­mus in Sri Lan­ka beschrieben. Die fol­gen­den Links, auf die mich Sena­ka Weer­arat­na aufmerk­sam machte, enthal­ten Doku­mente aus GDS-Quellen, welche diese Geschichte beleuchten:

2. Verbindungen des Buddhistischen Hauses in Berlin zu den Nationalsozialisten

1933 wurde auch auf Cey­lon darüber disku­tiert, ob Deutsch­land und ins­beson­dere das bud­dhis­tis­che Haus in Berlin das bud­dhis­tis­che Zen­trum Europas wer­den könne. Anlass war der erste Bud­dhis­tis­che Kongress, den das Bud­dhis­tis­che Haus in Berlin am 23. und 24. Sep­tem­ber 1933 in seinen Räu­men unter Ver­ant­wor­tung von Wolf­gang Schu­mach­er (1908–1961) organ­isierte. In sein­er vom Bud­dhis­tis­chen Haus her­aus­gegebe­nen Schrift Arische Reli­gion (1933) emp­fahl dieser den Nation­al­sozial­is­ten den Bud­dhis­mus als Staat­sre­li­gion.[i] Erst aus der Syn­these von Bud­dhis­mus und Nation­al­sozial­is­mus, so Schu­mach­er, ergebe sich das „staat­stra­gende Poten­tial des Bud­dhis­mus“. Bud­dhis­mus sei eine Reli­gion für „echte Män­ner“ und „ein kriegerisches Volk“. Diese Debat­te wurde auf Cey­lon aufge­grif­f­en und in The Bud­dhist, der in Colom­bo her­aus­gegeben wurde, kom­men­tierte der Mönch Ana­gari­ka Lhas­shekankrakrya Schumacher’s Vorschlag als „a won­der­ful genial stroke“.[ii] Bud­dhis­ten in Berlin und Colom­bo waren sich also einig, dass der Nation­al­sozial­is­mus dem Bud­dhis­mus Auftrieb geben könne. Doch während die Bud­dhis­ten in Berlin ver­sucht­en, die Verbindung zum Nation­al­sozial­is­mus unsicht­bar zu machen und wir dementsprechend kaum Doku­mente dazu im Archiv des Bud­dhis­tis­chen Haus­es find­en, wurde in Colom­bo nie ein Geheim­nis daraus gemacht. Wir brauchen also das Studi­um der Unter­la­gen im GDS-Archiv, um die Geschichte des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin zu ver­voll­ständi­gen. So schick­te mir Sena­ka Weer­arat­na die fol­gen­den Doku­mente, die sich nach sein­er Auskun­ft im Archiv der GDS-befinden:

  • Prospects for Ger­many as the Bud­dhist Cen­ter of Europe,“ The Bud­dhist 1933/12.
  • Bud­dhist Work in Nazi-Ger­many,“ The Bud­dhist 1933/12.
  • Review of Pam­phlet by Dr. Wolf­gang Schu­mach­er,“ Young Men’s Bud­dhist Asso­ci­a­tion, 1940/6.

3. Die singhalesische Mission „für Deutschland“

Der über­wiegende Teil der Doku­mente, die ich während meines Email-Aus­tausches mit Sena­ka Weer­arat­na empf­ing, bet­rifft die Ereignisse rund um die Entsendung von sing­hale­sis­chen Mönchen nach Deutsch­land. Sie bilde­ten die Basis ein­er tra­gen­den Nationalerzäh­lung und wur­den entsprechend fein­maschig dargelegt. Die Erzäh­lung umfasst fol­gende Sta­tio­nen: 1952 wurde die Ger­man Dhar­madu­ta Soci­ety in Colom­bo gegrün­det. 1953 machte Aso­ka Weer­arat­na (1918 — 1999) eine Erkun­dungsreise durch Deutsch­land und erstat­tete in Colom­bo Bericht. Es fol­gte die nationale Anstren­gung „L.D.S One-Mil­lion-Rupee-Fund for Bud­dhist Mis­sion to Ger­many“ (1954).[iii] 1957 wurde das Bud­dhis­tis­che Haus in Berlin-Frohnau erwor­ben. In den 1960er und 1970er Jahren ent­stand dort unter der Leitung des Mönchs Sri Gnanaw­im­i­la eine erfol­gre­iche bud­dhis­tis­che Gemein­schaft. 1967 wurde dieser nationalen Anstren­gung in Colom­bo mit ein­er Brief­marke gedacht, auf der deutsche Bud­dhis­ten abge­bildet waren. Sena­ka Weer­arat­na ver­wies u.a. auf die fol­gen­den Doku­mente, die auf diese Aspek­te Bezug nehmen:

4. Deutschland im Spiegel der singhalesischen Presse

Bis heute erin­nert die sing­hale­sis­che Presse immer wieder an die Geschichte der fre­und­schaftlichen Beziehun­gen zwis­chen Cey­lon und Deutsch­land all­ge­mein und den deutschen Bud­dhis­ten ins­beson­dere.  Davon zeu­gen Zeitungsar­tikel mit Titeln wie: “When the World boy­cotted the Ger­mans, Sri Lan­ka opened its doors to the Ger­mans”; “Cey­lon could give the world a gift — Peace through Bud­dhism”; “Ger­many! Sri Lan­ka still thinks [of] you [as] our friend” (sic!); “Bud­dhism — Sri Lanka’s great­est gift to Ger­many” oder “Ger­many Sri Lan­ka Rela­tions — In Ret­ro­spect”. Mein Kor­re­spon­den­z­part­ner wies mich auf einige Blog­beiträge bzw. Zeitungsar­tikel jün­geren Datums hin, darunter auch ein von ihm ver­fasster Text zu bud­dhis­tisch geprägten kul­turellen Beziehun­gen zwis­chen Deutsch­land und Sri Lanka:

5. England in der Erinnerungspolitik der singhalesischen Buddhisten

Im deut­lichen Gegen­satz zu den Archiv­doku­menten, die sich mit der Beziehung Sri-Lan­ka — Deutsch­land beschäfti­gen, ste­hen Doku­mente, die das Ver­hält­nis der Sing­hale­sen zu Eng­land beleucht­en. Auch auf diese The­matik wies mich Sena­ka Weer­arat­na aus­drück­lich hin. In den mir zuge­sandten Mate­ri­alien wer­den Forderun­gen laut, wonach sich Eng­land endlich zu sein­er krim­inellen Ver­gan­gen­heit beken­nen solle. In Doku­menten wird an die Ver­brechen der Briten auf Cey­lon („British atroc­i­ties“, „Crimes against human­i­ty“) erin­nert und Forderun­gen nach Repa­ra­tionszahlun­gen für das began­gene Unrecht erhoben. Es erwies sich, dass mein Email-Part­ner in diesem Sek­tor fed­er­führend als Anwalt für die Sing­hale­sen tätig ist. Aus den Doku­menten, die er mir sandte, spricht eine äußerst bru­tale Kolo­nialgeschichte, in der die Bevölkerung Cey­lons zu Sklaven degradiert, ihnen die Men­schlichkeit abge­sprochen, ihre Kul­tur ver­nichtet und ihre Kul­turgüter ger­aubt wur­den. Die Doku­mente machen eben­falls klar, dass Eng­land sich zu dieser Ver­gan­gen­heit bis heute nicht bekennt.

Hier einige Links, auf die mich Sena­ka Weer­arat­na in diesem Zusam­men­hang aufmerk­sam machte, darunter auch hier wieder ein von ihm selb­st ver­fasster Text:

Vorläufiges Fazit

Es ist ein Wag­nis, ein Archiv darzustellen, das man nicht selb­st gese­hen hat. Was es gab, waren die Doku­mente, die mir zugeschickt wur­den, sowie die Ver­sicherung meines Email-Part­ners, diese gehörten zum GDS-Archiv im Colom­bo. Viele dieser Doku­mente waren bere­its auf Sri Lanke­sis­chen und bud­dhis­tis­chen Web­sites erschienen. Im Laufe des Email-Aus­tausches wurde allerd­ings klar, dass die Vorstel­lung davon, was der Ter­mi­nus ‚Archiv´ alles umfassen kann, auf Seit­en meines Gesprächspart­ners sehr viel weit­er reichte, als es Archivge­set­ze in den deutschen Län­dern vorse­hen. Die Gren­zen zwis­chen ein­er — wie auch immer geord­neten — Doku­menten­samm­lung an einem fes­ten Ort und deren Repro­duk­tion durch Dig­i­tal­isierung und Inter­net­pub­lika­tion ver­schwammen. Den­noch lässt sich fest­stellen, dass das Archiv des Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin und die mir zugeschick­ten Doku­mente sich in eini­gen wichti­gen Bere­ichen ergänzen.

I. So hält das Berlin­er Archiv die Details der Mis­sion fest, die hier 1953, aus Rich­tung Sri Lan­ka kom­mend, an Paul Dahlkes Nach­lass anknüpfte. Das Archiv in Colom­bo enthält hinge­gen die Details der Vorgeschichte dieser Mis­sion, die bis 1904 und auf die erste Nieder­las­sung deutsch­er Bud­dhis­ten in Cey­lon zurückgeht.

II. Wo im Berlin­er Archiv jed­er Ver­weis auf den Nation­al­sozial­is­mus fehlt, ver­fügt das GDS-Archiv in Colom­bo über eine Rei­he zeit­genös­sis­ch­er Beobach­tun­gen und Kom­mentare, aus denen her­vorge­ht, wie pos­i­tiv man sowohl im Bud­dhis­tis­chen Haus­es in Berlin als auch in den ein­schlägi­gen Kreisen in Colom­bo den Nazis gegenüberstand.

III.  Zeit­genös­sis­che Zeitungsar­tikel geben Auskun­ft über die aufgewühlte Stim­mung im Colom­bo der 1950er Jahre, als der junge Nation­al­staat Sri Lan­ka eine nationale Anstren­gung unter­nahm, um die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land, die er als Ver­bün­de­ten betra­chtete, mith­il­fe ein­er Mis­sion zu unter­stützen. Nach einem Echo dieses Fre­und­schaft­sange­bot sucht man im Berlin­er Archiv vergeblich.

IV. Im GDS-Archiv in Colom­bo wur­den die „deutschen“ Mis­sions­bestände um Doku­mente ergänzt, die von britis­chen Kolo­nialver­brechen bericht­en. Davon fehlt im Berlin­er Archiv jede Spur. Aus dieser let­zten Samm­lungsanstren­gung ließe sich möglicher­weise schlussfol­gern, dass die Beziehun­gen zwis­chen deutschen und sing­hale­sis­chen Bud­dhis­ten als pos­i­tive Folie dienen, auf die das neg­a­tive Ver­hält­nis zu den Englän­dern abge­bildet wird.

Ein abschließen­des Urteil lässt sich allerd­ings schw­er­lich auf der Basis der Doku­mente fällen, die mir geschickt wur­den. Denn, wie gesagt, die Auswahl wurde von meinem Email-Part­ner getrof­fen. Erst eine ver­tiefende Forschung mit den Mate­ri­alien in Colom­bo wird diese und andere Fra­gen beant­worten können.

Berlin, im Sep­tem­ber 2021, Ger­di­en Jonker

Endnoten

[i]  Wolf­gang Schu­mach­er, Arische Reli­gion. Berlin: Neubud­dhis­tis­ch­er Ver­lag, 1933.

Erweit­ert­er Auflage in: Wiederge­burt und Wirken. Zeitschrift für Erneuerung von Kul­tur und Geis­tesleben. Hg. von Dr. Wolf­gang Schu­mach­er, Heft 3. 1933. Berlin: [Selb­stver­lag], 1934.

Cf. Volk­er Zotz, „Zum Ver­hält­nis von Bud­dhis­mus und Nation­al­sozial­is­mus“. Zeitschrift für Reli­gion 25, no. 1 (2017): pp. 6 — 29.

[ii] „Bud­dhist Work in Nazi Ger­many. A Mes­sage by Ana­gari­ka Lhas­se­hekankrakrya”. The Bud­dhist, Decem­ber 1993, p. 3.

[iii]  L.D.S. = Lan­ka Dhar­madu­ta Society

MIDA Archival Reflex­i­con

Edi­tors: Anan­di­ta Baj­pai, Heike Liebau
Lay­out: Mon­ja Hof­mann, Nico Putz
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ISSN 2628–5029