Foto: Ein Ton­träger aus Vinyl.

Inhaltsverze­ich­nis
Wil­helm Doe­gen und die Geschichte des Lautarchivs | Tech­nis­che und organ­isatorische Umset­zung der Plat­te­nauf­nah­men in den Kriegs­ge­fan­genen­lagern | Südasi­atis­che Sprach- und Musikauf­nah­men im Lautarchiv | Schluss­be­tra­ch­tung | End­noten | Sekundär­lit­er­atur

Mit der Absicht, Sprachen und Dialek­te unter­schiedlich­er Nation­al­itäten und eth­nis­ch­er Grup­pen auf Ton­trägern festzuhal­ten, begab sich ab 1915 eine Kom­mis­sion ver­schieden­er Wis­senschaftler in Gefan­genen­lager in Deutsch­land. Obwohl ihre Inten­tio­nen vorder­gründig vom Krieg unberührt schienen, wur­den Kriegs­ge­fan­gene so zu „Objek­ten“ sprach­wis­senschaftlich­er Unter­suchun­gen. Aufze­ich­nun­gen von Stim­m­dar­bi­etun­gen, Sprachen, Dialek­ten und Musik­beispie­len interniert­er Sol­dat­en zu Forschungszweck­en stell­ten einen her­aus­ra­gen­den Teil ein­er größer angelegten Sam­meltätigkeit der erwäh­n­ten Kom­mis­sion dar. Darüber hin­aus gab es weit­ere Samm­lungss­chw­er­punk­te, in deren Folge das Berlin­er Lautarchiv der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu einem einzi­gar­ti­gen akustis­chen Bestand von inter­na­tionaler Bedeu­tung anwuchs. An deutschsprachi­gen Uni­ver­sitäten existiert nach Umfang und his­torisch­er Tiefe keine ver­gle­ich­bare Kollek­tion. Es han­delt sich um die früh­este und zugle­ich umfassend­ste sys­tem­a­tis­che Ton­samm­lung, die zu wis­senschaftlichen und doku­men­tarischen Zweck­en mit der Schel­lack­plat­te als Schall­träger real­isiert wurde. Gegrün­det wurde jenes Archiv als Samm­lung von Wis­senschaftlern für Wis­senschaftler, um Forschung und Lehre zu dienen. Ein­er­seits soll­ten weit­erge­hende Unter­suchun­gen im Bere­ich von Phonetik, Dialek­t­forschung, Fremd­sprachen­lin­guis­tik und Eth­nolo­gie ermöglicht, ander­er­seits im Fremd­sprache­nun­ter­richt wichtige Ser­vice­funk­tio­nen über­nom­men wer­den. Das nach Ende des Zweit­en Weltkriegs zwar bewahrte, aber nicht weit­er betreute und aus­ge­baute Archiv wurde zwis­chen 1999 und 2005 dig­i­tal­isiert und erschlossen. Die eigene Auf­nah­metätigkeit des Archivs zwis­chen 1915 und 1944 auf Schel­lack­plat­ten ist inzwis­chen kom­plett in eine Daten­bank über­tra­gen und im Inter­net recher­chier­bar.[1] 

Der fol­gende Artikel gibt einen Überblick über Schal­lauf­nah­men südasi­atis­ch­er Sol­dat­en und Zivilis­ten aus dem Ersten Weltkrieg, die heute im Lautarchiv der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin unterge­bracht sind. Jedoch lässt sich der Zugang zu diesen Schal­lauf­nah­men des Lautarchivs nur gewin­nen, wenn man sie in den wis­senschafts- und insti­tu­tion­s­geschichtlichen Kon­text einord­net. Teil­weise sind diese his­torischen Zusam­men­hänge noch nicht aus­re­ichend erforscht. Somit erhebt der fol­gende Abriss keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Wilhelm Doegen und die Geschichte des Lautarchivs 

Die Geschichte des Lautarchivs ist eng verknüpft mit seinem Grün­der Wil­helm Doe­gen (1877–1967). 1877, im Jahr der Erfind­ung des Phono­graphen durch Edi­son, in Berlin geboren, studierte Doe­gen nach ein­er abgeschlosse­nen Ban­klehre Nation­alökonomie und Han­del­srecht. Als Gasthör­er besuchte er Vor­lesun­gen in Anglis­tik an der Friedrich-Wil­helms-Uni­ver­sität in Berlin bei Alois Bran­dl. Bran­dl regte ihn schließlich zum Studi­um der Neuphilolo­gie an. 1899/1900 ver­brachte Doe­gen ein Aus­landsse­mes­ter in Oxford, wo er bei Hen­ry Sweet (1845–1912), einem der Pio­niere der mod­er­nen Phonetik, studierte. Sweet hat­te maßge­blich an der Entwick­lung der Phonetis­chen Umschrift mit ihren zahlre­ichen Son­derze­ichen mitgewirkt.

Die Begeg­nung mit Sweet und seinen Arbeit­en zur phonetis­chen Umschrift beze­ich­nete Doe­gen später als das Schlüs­sel­er­leb­nis, das sein weit­eres beru­flich­es Wirken entschei­dend bee­in­flusste. 1904 schloss Doe­gen sein Lehramtsstudi­um für Englisch, Franzö­sisch und Deutsch mit ein­er Exa­m­en­sar­beit über die Ver­wen­dung der Phonetik im Englis­chen Anfang­sun­ter­richt ab.

Mit großem Enthu­si­as­mus trieb er anschließend den Ein­satz der phonetis­chen Schrift in Unter­richtswerken in Verbindung mit den auf Schallplat­ten gesproch­enen Tex­ten voran.

Als Lehrer am Bor­sig-Real­gym­na­si­um erar­beit­ete er ab 1909 zusam­men mit den Odeon-Schallplat­ten­werken in Berlin Weißensee die mehrbändi­ge Rei­he: „Doe­gens Unter­richt­shefte für die selb­ständi­ge Erler­nung fremder Sprachen mit Hil­fe der Lautschrift und der Sprech­mas­chine“. Zudem wur­den Werke mit Klas­sik­ern der englis­chen und franzö­sis­chen Lit­er­atur, von mut­ter­sprach­lichen Schaus­piel­ern gesprochen, für den Schu­lun­ter­richt her­aus­gegeben. Die Schel­lack­plat­te, die sich gegenüber dem Wach­szylin­der durch ein hohes Maß an Wieder­gabequal­ität, Repro­duzier­barkeit und Halt­barkeit ausze­ich­nete, sollte dafür als neuar­tiges Lehrmit­tel einge­set­zt werden.

Doe­gen pflegte gute Kon­tak­te zum Bil­dungsmin­is­teri­um, das ihn zur Weltausstel­lung 1910 nach Brüs­sel schick­te. Dort erhielt er die sil­berne Medaille für die Ein­führung der Schallplat­te in Forschung und Lehre. Durch den Erfolg sein­er „Laut­plat­ten“ ange­s­pornt, entwick­elte Doe­gen Ideen zu einem Stimmenmuseum.

Im Feb­ru­ar 1914 sandte er Vorschläge für die Errich­tung eines „Königlich Preußis­chen Phonetis­chen Insti­tuts“ an das Preußis­che Kultusministerium.

Gesam­melt wer­den soll­ten demzufolge:

  1. Sprachen sämtlich­er Völk­er der Erde;
  2. Sämtliche deutsche Mundarten;
  3. Musik und Gesang sämtlich­er Völk­er der Erde;
  4. Stim­men großer Persönlichkeiten;
  5. Ver­schiedenes.[2]

Am 27. Okto­ber 1915 fol­gte auf Doe­gens Antrag die Ein­set­zung der „Königlich Preußis­chen Phono­graphis­chen Kom­mis­sion“, deren Ziel es war, sowohl die etwa 250 Sprachen, die unter den Internierten der Kriegs­ge­fan­genen­lager gesprochen wur­den, als auch ihre tra­di­tionelle Musik sys­tem­a­tisch aufzunehmen und zu bear­beit­en. Der Tonpsy­chologe Carl Stumpf wurde zum Vor­sitzen­den ernan­nt.[3]  In der frühen Phase akustis­ch­er Forschung galt Carl Stumpf als die unum­strit­tene Autorität auf diesem Gebi­et, ihm ver­traute deshalb das Min­is­teri­um auch die Leitung der neuen Ini­tia­tive an. Ins­ge­samt set­zte sich die Kom­mis­sion aus etwa 30 Wis­senschaftlern aus den Bere­ichen Anthro­polo­gie, Sprach- und Musik­wis­senschaft zusam­men. Namhafte Mit­glieder der Kom­mis­sion waren unter anderem Otto Dem­p­wolff (Medi­zin, afrikanis­che, indone­sis­che und Süd­see-Sprachen), Felix von Luschan (Anthro­polo­gie), Friedrich Carl Andreas (iranis­che Sprachen), Alois Bran­dl (englis­che Dialek­te), Adolf Dirr (kauka­sis­che Sprachen), Hel­muth von Glase­napp (Pun­jabi, Hin­di), August Heisen­berg (Griechisch), George Schüne­mann (Musik­wis­senschaft), Hein­rich Lüders (Ben­gali, Paschtu, Gurung). Zwis­chen dem 29. Dezem­ber 1915 und dem 19. Dezem­ber 1918 zeich­nete die „Königliche Preußis­che Phono­graphis­che Kom­mis­sion“  unge­fähr 250 Sprachen, Dialek­te und tra­di­tionelle Musik unter den Kriegs­ge­fan­genen des Deutschen Reich­es auf 2.672 akustis­che Medi­en (Gram­mophon-Plat­ten und Wach­swalzen) auf. Zum Auf­bau dieser Samm­lung wählten die Mit­glieder der Kom­mis­sion 31 der ins­ge­samt 175 Gefan­genen­lager in Deutsch­land aus.[4]  Einige dieser Lager wur­den mehrfach aufge­sucht, so dass die Kom­mis­sion ins­ge­samt 49 Forschungsreisen in Gefan­genen­lager unter­nahm. Mit Aus­nahme Öster­re­ich-Ungar­ns,[5]  war diese Form des Sam­melns von ethno­grafis­chen Mate­ri­alien einzi­gar­tig während des Ersten Weltkrieges. In Deutsch­land wurde die Aktiv­ität der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion während der Kriegs­jahre geheim gehalten.

Doe­gen selb­st war für die tech­nis­che Umset­zung der gram­mo­phonis­chen Auf­nah­men zuständig. Zusam­men mit den Fachvertretern und einem Tech­niker real­isierte er 1.650 Auf­nah­men, die zu zwei Drit­teln Sprachen und zu einem Drit­tel Musik beinhalten.

Der Musik­wis­senschaftler Georg Schüne­mann führte dage­gen auss­chließlich Musikauf­nah­men mit dem Phono­graphen durch. Er arbeit­ete meis­tens allein und nutzte nicht den stan­dar­d­isierten Per­son­al­bo­gen der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion, der im nach­fol­gen­den Abschnitt erläutert wird (siehe unten). Seine Samm­lung umfasste 1.022 Wach­swalzen, die heute im Phono­gramm-Archiv unterge­bracht sind.[6] 

Grammophonische Aufnahmen in einem Kriegsgefangenenlager durch Wilhelm Doegen und Alois Brandl
Abb. 1: Gram­mo­phonis­che Auf­nah­men im Lager Wahn durch Wil­helm Doe­gen und Alois Bran­dl, Okto­ber 1916. Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin, Insti­tut für Musik­wis­senschaft und Medi­en­wis­senschaft, Lautarchiv (mit fre­undlich­er Genehmi­gung von Har­ro Brödler).

Während der Wirren der Novem­ber­rev­o­lu­tion 1918 erwirk­te Wil­helm Doe­gen im Kul­tus­min­is­teri­um die per­sön­liche Ver­fü­gungs­ge­walt über die gram­mo­phonis­chen Auf­nah­men und ver­an­lasste später, dass diese als Grund­stock in die am 1. April 1920 gegrün­dete „Lautabteilung an der Preußis­chen Staats­bib­lio­thek“ über­führt wur­den.[7]  Der Vor­sitzende der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion Carl Stumpf wurde über diesen Schritt unzure­ichend informiert und reagierte entsprechend unge­hal­ten.[8]   Sein­er Mei­n­ung nach hätte die Samm­lung als Eigen­tum des Kul­tus­min­is­teri­ums in geschlossen­er Form erhal­ten bleiben sollen. Stattdessen wurde mit Grün­dung der Lautabteilung die Samm­lung der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion nach dem Auf­nah­memedi­um (Schel­lack­plat­ten in der Lautabteilung und Edis­onzylin­der im Phono­gramm-Archiv) getren­nt und seit­dem an zwei ver­schiede­nen Orten aufbewahrt.

Neben den gram­mo­phonis­chen Auf­nah­men der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion wurde in der Lautabteilung auch die soge­nan­nte „Darm­städter­sche Stim­men­samm­lung“ auf­be­wahrt, mit deren Auf­bau Doe­gen 1917 begonnen hat­te. Diese Auf­nah­men von Stim­men berühmter Per­sön­lichkeit­en wur­den mit finanzieller Unter­stützung des Chemik­ers Prof. Dr. Lud­wig Darm­städter real­isiert. Zweck der Samm­lung war laut Schenkungsver­trag: „Stim­men von solchen Per­sön­lichkeit­en aufzube­wahren, an deren Erhal­tung für die Nach­welt ein his­torisches Inter­esse vor­liegt“.[9]  Unter diesem Per­so­n­enkreis wur­den Poli­tik­er, Wis­senschaftler und Kün­stler verstanden.

Carl Stumpf (rechts) und Georg Schünemann nehmen mit einem Phonographen tatarische Musiker auf.
Abb. 2: Carl Stumpf (rechts) und Georg Schüne­mann (zweit­er von rechts) nehmen mit einem Phono­graphen tatarische Musik­er auf. (Die Tonauf­nahme ist im Berlin­er Phono­gramm-Archiv archiviert unter „Phon. Komm. 34”, Gefan­genen­lager Frank­furt a.d.O., 1916.) Fotografie aus: W. Doe­gen, 1925, Unter frem­den Völk­ern — Eine neue Völk­erkunde, Fotografien neben S. 144.

Diese Auf­nah­men waren als Ergänzung der „Lud­wig Darm­städter­schen Auto­graphen­samm­lung zur Geschichte der Wis­senschaft“ gedacht, die Darm­städter 10 Jahre zuvor der „Königlichen Bib­lio­thek“  geschenkt hat­te.[10] Ehre­namtlich als Leit­er der Samm­lung fungierend, unter­stand Doe­gen bezüglich neuer Schal­lauf­nah­men der Entschei­dung eines Kuratoriums.

Die Plat­ten dieser Stiftung tra­gen die Sig­natur Aut (= Autophon). Die erste offizielle Auf­nahme mit der Sig­natur Aut 1 wurde von Kaiser Wil­helm II. mit dem Titel „Aufruf an mein Volk“ am 10. August 1918 im Schloss Belle­vue aufgenom­men, eine Rede, die er ursprünglich im August 1914 gehal­ten hat­te. Hier wird bere­its ein Kennze­ichen der Stim­men­porträts deut­lich, denn bei diesen Auf­nah­men han­delt es sich aus­nahm­s­los um nachge­sproch­ene Pas­sagen aus Reden oder Vorträ­gen. Die zeitliche Dif­ferenz zwis­chen gehal­tener Rede und Auf­nahme reichte von nur weni­gen Tagen bis zu 4 Jahren. Ein weit­eres Merk­mal dieser Auf­nah­men ist, dass die Wachs­ma­trizen nach erfol­gre­ich­er Stim­me­naufze­ich­nung von den betr­e­f­fend­en Per­sön­lichkeit­en sig­niert wurden.

Eine Son­der­stel­lung nahm die wahrschein­lich nur samm­lungsin­tern genutzte Plat­te Aut 0 ein. Diese jew­eils zur Hälfte von Doe­gen und Darm­städter besproch­ene Plat­te ist in den Unter­la­gen des Archivs nicht verze­ich­net und wurde erst bei ein­er Revi­sion der Bestände unter den 7.500 Plat­ten gefun­den. Doe­gen und Darm­städter leg­en in dieser Auf­nahme ihre Beweg­gründe zum Auf­bau bzw. der finanziellen Unter­stützung der Samm­lung dar.  Die „Aut“-Signatur wurde 1924 eingestellt, weil Darm­städter seine Stiftung zurückzog.

Doe­gen, 1920 als Direk­tor der Lautabteilung einge­set­zt, unter­stand jedoch auch hier ein­er „Lautkomis­sion“, die, ähn­lich der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion, über die Auf­nah­metätigkeit befand und sich zum Teil aus dem­sel­ben Per­so­n­enkreis zusam­menset­zte. Als Direk­tor der Samm­lung war Doe­gen mit der tech­nis­chen Real­isierung, Kon­servierung, Ver­w­er­tung und öffentlichen Bere­it­stel­lung der Plat­ten­samm­lung betraut.

Die Auf­nah­men der Lautabteilung erhiel­ten das Sig­na­turen­sigel LA (= Lautabteilung). Das Samm­lungs­feld weit­ete sich the­ma­tisch erhe­blich aus. Neben „Sprache und Musik sämtlich­er Völk­er“ befasste man sich nun vor allem auch mit der Doku­men­tierung von Mundarten des Deutschen. In Zusam­me­nar­beit mit Fer­di­nand Wrede aus Mar­burg ent­standen die Auf­nah­men zum deutschen Sprachat­las mit den „40 Wenker­schen Sätzen“. Neben den diversen Auf­nah­me­ex­pe­di­tio­nen durch Deutsch­land gab es Expe­di­tio­nen in die Schweiz, nach Irland und Let­t­land. Das Auf­nah­me­feld „Berühmte Per­sön­lichkeit­en“ der Aut-Sig­natur wurde nach Darm­städters Rück­zug in der LA-Sig­natur fort­ge­set­zt und im Sinne von „Per­so­n­en öffentlichen Inter­ess­es“ erweit­ert. Stim­men von Per­so­n­en, die tech­nis­che Neuerun­gen entwick­el­ten, bis hin zu Pio­nieren der Luft­fahrt­tech­nik erhiel­ten somit Einzug in die Sammlung.

1925 ent­standen Tier­stim­me­nauf­nah­men in Koop­er­a­tion mit dem Zirkus Kro­ne. Aus den Per­son­al­bö­gen geht her­vor, dass ein Tag nach den Auf­nah­men von Wildtieren wie Ele­fan­ten, Seelöwen, Braun­bären und Tigern auch so genan­nte „Edle Wilde“ vor den Trichter geholt wur­den, die eben­so Bestandteil der Zirkusvorstel­lun­gen waren. Durch die Auf­nah­men der Häuptlinge der Iowa und Ceyenne gelangten Schall­doku­mente der Sioux- und Algonkin-Sprache in die Sammlung.

Unregelmäßigkeit­en in der Buch­führung hat­ten im Juli 1930 Doe­gens Beurlaubung zur Folge. Im Okto­ber 1931 kon­nte er die Arbeit zwar wieder aufnehmen, die Ver­wal­tung der Lautabteilung wurde jedoch der Uni­ver­sität unter­stellt. Schließlich bewirk­te im Mai 1933 das nation­al­sozial­is­tis­che „Gesetz zur Wieder­her­stel­lung des Berufs­beam­ten­tums“ Doe­gens Entlassung.

Nach­dem 1934 der Afrikanist und Phonetik­er Diedrich West­er­mann die Leitung der Lautabteilung über­nom­men hat­te, wurde sie zunächst zur Lehr- und Forschungsstätte für Phonetik erweit­ert und als „Insti­tut für Laut­forschung“ in die Uni­ver­sität inte­gri­ert, dann 1935 in die Abteilun­gen Lin­guis­tik, Musik und Phonetis­ches Lab­o­ra­to­ri­um unterteilt, denen jew­eils ein Fach­wis­senschaftler vor­stand.[11]  In dieser Form bestand das Archiv bis 1944.

Während des Zweit­en Weltkriegs wur­den zwis­chen 1939 und 1941 wiederum Ton­doku­men­ta­tio­nen von Kriegs­ge­fan­genen ange­fer­tigt. Neben deutschen Lagern wur­den dies­mal auch franzö­sis­che Internierungsstät­ten aufge­sucht. In Frankre­ich lag ein beson­der­er Schw­er­punkt auf afrikanis­chen Sprachauf­nah­men. Diese Kam­pagne war jedoch nach Umfang und Ausstat­tung nicht mit den Aktiv­itäten unter Leitung von Carl Stumpf im Ersten Weltkrieg zu vergleichen.

Nach 1945 kam es zu mehrfachen Umstruk­turierun­gen des Insti­tuts für Laut­forschung, bis es durch die III. Hochschul­re­form der DDR (1967–72) seine Selb­st­ständigkeit ver­lor und als „Abteilung Phonetik/ Sprech­wis­senschaft“ in die Sek­tion „Reha­bil­i­ta­tion­späd­a­gogik und Kom­mu­nika­tion­swis­senschaft“ eingegliedert wurde. Dem Lautarchiv wurde in dieser neuen Ein­rich­tung kaum noch Aufmerk­samkeit geschenkt, die Samm­lungstätigkeit war schon seit langem zum Erliegen gekom­men. Im Jahre 1981 sollte es gar vol­lends „entsorgt“ wer­den. Jedoch erkan­nte der Musiketh­nologe Jür­gen Elsner den großen Wert der unzure­ichend geschützten Samm­lung und trug dafür Sorge, dass sie for­t­an im Musik­wis­senschaftlichen Insti­tut Am Kupfer­graben 5 in abschließbaren Räu­men sich­er ver­wahrt wer­den kon­nte. Dieter Mehn­ert betreute die Samm­lung in den 1990er Jahren und pub­lizierte 1996 einen ersten zusam­men­fassenden Bericht über das Lautarchiv.[12]

Technische und organisatorische Umsetzung der Plattenaufnahmen in den Kriegsgefangenenlagern

Die gram­mo­phonis­chen Auf­nah­men unter der Auf­sicht von Wil­helm Doe­gen wur­den fol­gen­der­maßen real­isiert: Welche Sprachen die Kom­mis­sion­s­mit­glieder in den einzel­nen Lagern unter den Gefan­genen vor­fan­den, ging aus Lis­ten her­vor, die die Lagerkom­man­dan­ten an die Kom­mis­sion sandten, doch waren die Inhalte der Lis­ten nicht immer kor­rekt. Die Kom­mis­sion bzw. die einzel­nen Fachvertreter bes­timmten, wer aufgenom­men wer­den sollte, und vor jed­er Auf­nahme wurde ein Per­son­al­bo­gen (siehe Abb. 3) ausgefüllt.

Dieser gibt neben der Doku­men­tierung der Auf­nahme genaue Auskun­ft über die Herkun­ft und den sozialen Hin­ter­grund des Sprech­ers oder Sängers sowie sein­er sprach­lichen Genese. Fern­er galt das Ide­al, dass keine Auf­nahme gemacht wer­den sollte, bevor nicht eine Translit­er­a­tion[13] des Textes aus der im jew­eili­gen Heimat­land üblichen Schrift­sprache, neben ein­er phonetis­chen Umschrift und ein­er deutschen Über­set­zung vor­lag. Da sich die Sprech­er und Sänger nicht immer an die abge­sproch­enen Texte hiel­ten, mussten nicht sel­ten nach Fer­tig­stel­lung der Plat­ten erneut Tran­skrip­tio­nen geschrieben wer­den. Tran­skrip­tio­nen von Musikauf­nah­men wur­den generell erst nach Pres­sung der Plat­ten angefertigt.

Die Auf­nah­men (zwei Drit­tel Sprach‑, ein Drit­tel Musikauf­nah­men) umfassten unter­schiedliche the­ma­tis­che Bereiche:

  1. Bei noch weitest­ge­hend unbekann­ten Sprachen wur­den Wort­grup­pen qua­si als Wörter­büch­er und Wörter, die in der Sprache leicht zu ver­wech­seln sind, aufgenommen.
  2. Märchen, Erzäh­lun­gen und Anekdoten.
  3. Ins­beson­dere Kriegs­ge­fan­gene aus Großbri­tan­nien und Frankre­ich, aber auch aus anderen europäis­chen Staat­en soll­ten die Para­bel vom ver­lore­nen Sohn aus der Bibel (Lk XV, 11ff.) in ihrem Heima­tid­iom sprechen. Auf diese Weise wur­den Dialek­te aller englis­chen Graf­schaften doku­men­tiert und kon­nten untere­inan­der direkt ver­glichen werden.
  4. Den Großteil der Musikauf­nah­men bilden Gesänge, nur wenige Auf­nah­men sind rein instrumental.

Die Tätigkeit der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion erstreck­te sich nicht nur auf Schall­doku­men­ta­tio­nen und deren schriftliche Nieder­legung, son­dern es wur­den auch Gau­menab­drucke – so genan­nte Palatogramme – von dem Zah­narzt Alfred Doe­gen[14] hergestellt, um sich über die genaue Zun­gen­stel­lung bei kom­plizierten Laut­fol­gen ein exak­tes Bild machen zu kön­nen. Sog­ar Rönt­ge­nauf­nah­men des Kehlkopfs bei bes­timmten Sprech­laut­en wur­den für die Gewin­nung wis­senschaftlich­er Erken­nt­nisse angefertigt.

Der dama­lige Direk­tor des Berlin­er Völk­erkun­de­mu­se­ums Felix von Luschan führte anthro­pol­o­gis­che Stu­di­en und Mes­sun­gen an den Gefan­genen durch.[15] Von fast allen Sprech­ern und Sängern wur­den Fotografien nach dem dama­li­gen Muster der ethno­graphis­chen Auf­nahme ein­mal in Vorder­an­sicht und ein­mal im Pro­fil erstellt. Von diesen Fotos sind heute noch etwa 50 im Lautarchiv erhal­ten, doch lei­der lassen sich nicht alle den entsprechen­den Sprech- oder Gesangs­doku­menten ein­deutig zuordnen.

 Neben Sprech­proben west- und osteu­ropäis­ch­er Sprachen gibt es einen nicht uner­he­blichen Anteil von afrikanis­chen und asi­atis­chen Sprach- und Musikauf­nah­men. Diese Schall­doku­mente gehören teil­weise zu den früh­esten akustis­chen Zeug­nis­sen ihrer Art. Auf­grund ihrer orthographis­chen und phonetis­chen Tran­skrip­tio­nen, ergänzt durch Über­set­zun­gen ins Deutsche, waren sie schon zu ihrer Entste­hungszeit bestens doku­men­tiert. Daher kann es zu ein­er Plat­te von dreiein­halb Minuten Lau­flänge bis zu 35 Seit­en schriftlich­er Doku­men­ta­tion geben. Dieser wis­senschaftliche Charak­ter der Samm­lung macht ihre Beson­der­heit und ihren unschätzbaren Wert für heutige Forschungsvorhaben aus.

Südasiatische Sprach- und Musikaufnahmen im Lautarchiv

Die heuti­gen Län­der Südasiens, aus denen es im Lautarchiv Schall­doku­mente gibt, sind fol­gende: Afghanistan, Banglade­sch, Indi­en, Nepal, Pak­istan, Sri Lan­ka. Ohne Aus­nahme erfol­gten alle Auf­nah­men unter Kriegs­ge­fan­genen des Ersten Weltkrieges mit Sprech­ern oder Sängern aus den dama­li­gen Ter­ri­to­rien Britisch-Indi­ens und aus Nepal in Wünsdorf.

Mit elf Reisen zu Auf­nah­mezweck­en war Wüns­dorf der am häu­fig­sten Auf­grund seines hohen Anteils an mus­lim­is­chen Gefan­genen wurde das dor­tige Lager auch als „Halb­mond­lager“ beze­ich­net.[16] Etwa 40 Kilo­me­ter südlich von Berlin gele­gen, war Wüns­dorf durch die kul­turelle Vielfalt unter den Gefan­genen, von denen viele aus Gebi­eten stammten, die den Kolo­nialmächt­en Eng­land und Frankre­ich gehörten, beson­ders inter­es­sant für Wis­senschaftler. Von den Mit­gliedern der Kom­mis­sion wur­den rund 65 Idiome klas­si­fiziert. Bis auf einige Aus­nah­men in Englisch [17], Mal­te­sisch, und Neukale­donisch, lassen sich die Auf­nah­men über­wiegend Sprachen in Afri­ka und Asien zuord­nen. Auf­nah­men in asi­atis­chen Sprachen umfassen: Hindi/Hindustani/Urdu, Pun­jabi, Ben­gali, Gah­wali, Alt-Hin­di, Belutschi, Paschtu, Khasi, Lim­bu, Nepali, Mag­a­ri, Gurung, Rai, Englisch (Nepal), Viet­name­sisch (Viet­nam), Tatarisch, Avarisch, Baschkirisch, Udmur­tisch (Rus­sis­che Föder­a­tion), Kir­gi­sisch (Kir­gisien).

Aus Afri­ka stam­men die fol­gen­den Sprachen: Baule (Elfen­beinküste), Dahome­en, Bari­ba (Benin), Bobo (Burk­i­na Faso), Mosi, Samogo (Burk­i­na Faso, Mali), Wolof, Poular (Sene­gal), Ful (Mali, Sudan, Sene­gal, Guinea), Kasonge (Mali), Zarma (Mali, Nige­ria), Kwa (Togo), Kru (Liberia), Malinke, Toma (Guinea), Soso (Sier­ra Leone, Guinea), Ban­tu, Swahili, Mwali, Ngazid­ja, Nzwani (Komoren), Soma­li (Soma­lia), Bam­bara (Sudan, Mali, Sene­gal), Man­dara, Kanuri (Sudan), Haus­sa (Sudan, Mali), Yoru­ba (Nige­ria), Anyi (Ghana), Ara­bisch (Alge­rien, Tune­sien, Marokko, Rus­sis­che Föder­a­tion), Berberisch (Alge­rien, Marokko), Kabyl­lisch (Alge­rien), Bet­sileo, Bet­simis­ara­ka, Bezanozano, Meri­na, Sakalave, Syana­ka, Taisa­ka, Tanosy (Mada­gaskar).

In unmit­tel­bar­er Nähe zum „Halb­mond­lager“ in Wüns­dorf befand sich das Lager Wein­berge in Zossen. Dort waren mus­lim­is­che Sol­dat­en aus der rus­sis­chen Armee interniert. Während der Ini­tial­phase der Auf­nah­metätigkeit wur­den im Wein­ber­glager nur sieben Plat­ten mit tatarischen Liedern aufgenom­men. Anson­sten erfol­gten alle Aufze­ich­nun­gen der im Lager Wein­berge unterge­bracht­en rus­sis­chen Mus­lime im Halb­mond­lager.[18] Das bedeutet, dass es in dieser Hin­sicht zwis­chen bei­den Lagern, die darauf aus­gerichtet waren, die Internierten durch gezielte Pro­pa­gan­da zum Über­laufen auf die deutsche Seite zu brin­gen, eine ständi­ge Bewe­gung gegeben haben muss. Zum Beispiel stammte der in Ara­bisch vor­ge­tra­gene und in Wüns­dorf aufgenommene „Gebet­sruf der Mohammedan­er“ von einem Tataren aus Tobol­sk, der wiederum im Wein­ber­glager unterge­bracht war.[19] Auch stand im „Halb­mond­lager“ eine Moschee, von der aus der Muezzin zum Gebet hätte rufen können.

Etwa die Hälfte der Mit­glieder aus der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion besuchte das „Halb­mond­lager“ zur Anfer­ti­gung gram­mo­phonis­ch­er Aufze­ich­nun­gen. Sie bespiel­ten 482 Plat­ten mit 765 Einzeltiteln, was knapp 30% aller Auf­nah­men entspricht, die unter Doe­gens Ägide ent­standen sind. Für den südasi­atis­chen Bere­ich sind hier die Ton­doku­mente rel­e­vant, die von den Kom­mis­sion­mit­gliedern Hein­rich Lüders, Friedrich Carl Andreas, Hel­muth von Glase­napp, Alois Bran­dl und Josef Horovitz aufgeze­ich­net wur­den. Ins­ge­samt umfasst dieser Samm­lung­steil 282 Titel auf 193 Schel­lack­plat­ten. Auf diese Auf­nah­men wird im Fol­gen­den genauer einge­gan­gen. Zu den meis­ten Titeln liegen die Orig­inal­texte in den südasi­atis­chen Sprachen und Schriften, sowie deren phonetis­che Umschriften, Translit­er­a­tion und Über­set­zun­gen vor.

Von dem Indolo­gen und Ori­en­tal­is­ten Hein­rich Lüders[20] stam­men mit 150 Einzeltiteln auf 98 Plat­ten die meis­ten Auf­nah­men. Davon sind mit 70 Titeln die meis­ten in Nepali. Bemerkenswert ist dabei, dass Lüders neben vie­len nepalis­chen Erzäh­lun­gen über­wiegend Lieder auf­nahm. In den anderen in größer­er Anzahl durch ihn aufgeze­ich­neten Sprachen – Gurung (23)[21], Khasi (17), Ben­gali (13) – sind mehrheitlich Erzäh­lun­gen doku­men­tiert, aber auch neu­trale Beispiele wie „Alpha­bet“ und „Sprech­probe“. Bei den Sprech­proben zu Gurung hat sich Lüders nicht an die ein­gangs erwäh­nte Abfolge von vorherge­hen­der Tran­skrip­tion der Texte und anschließen­der Auf­nahme gehal­ten, denn beglei­t­end zur Über­set­zung der Plat­ten PK 636 und 637 schreibt er:

Die Stücke sind in einem Hin­di-Dialekt abge­faßt, doch ließ sich nicht fest­stellen in welchem. Bei der fehler­haften Orthogra­phie und der nach dem Gehörten wiedergegebe­nen phonetis­chen Umschrift war es zwei von mir herange­zo­ge­nen gebilde­ten Indern eben­so wenig als mir selb­st möglich, eine voll­ständi­ge Über­set­zung herzustellen.[22]

Unter den weit­eren, von Lüders aufgenomme­nen Sprachen[23] sticht die einzige englis­che Auf­nahme – mit Aus­nahme von mil­itärischen Kom­man­dos – eines Gefan­genen in Wüns­dorf her­vor. Die Plat­te mit der Sig­natur PK 271 wird von Gan­ga Ram, einem aus Nepal stam­menden Kriegs­ge­fan­genen gesprochen. Außergewöhn­lich an dieser Auf­nahme ist zum einen, dass er nicht in sein­er Mut­ter­sprache Khasi spricht, zum anderen, dass er die Para­bel vom „Ver­lore­nen Sohn“ aus der Bibel wiedergibt, die nichts mit seinem religiösen Hin­ter­grund als Hin­du zu tun hat.

Durch Hel­muth von Glase­napp,[24] einem Indolo­gen und Reli­gion­swis­senschaftler, der während des Ersten Weltkrieges Mitar­beit­er für die Pro­pa­gandain­sti­tu­tion des Auswär­ti­gen Amts „Nachricht­en­stelle für den Ori­ent“ war, wur­den 56 Plat­ten mit 86 Titeln aufgeze­ich­net. Er befasste sich mit den Sprachen Pun­jabi (34), Hin­di (49), Althin­di (2) und Garhwali (1), wobei gesun­gene Lieder gegenüber Erzäh­lun­gen und rez­i­tierten Gedicht­en dominieren.

Für 22 Schall­träger mit 26 Auf­nah­men war der Ori­en­tal­ist Josef Horovitz[25] ver­ant­wortlich. Seine Auf­nah­men des Hin­dus­tani (21) und Belutschi (5) sind geprägt von Erzäh­lun­gen, es han­delt sich vornehm­lich um Märchen und Anekdoten.

Als Iranist und Ori­en­tal­ist erhielt Friedrich Carl Andreas[26] 1903 den Lehrstuhl für Wes­t­asi­atis­che Sprachen an der Uni­ver­sität Göt­tin­gen. Unter seinen ins­ge­samt 16 Auf­nah­men des Paschtu, die sich über 13 Schel­lack­plat­ten erstreck­en, sind neun Lieder. Auf­fal­l­end häu­fig sind Scher­zlieder in sein­er Auf­nah­meliste vermerkt.

Alois Bran­dl,[27] Philologe und Anglist an der Berlin­er Uni­ver­sität, zeich­nete im „Halb­mond­lager“ lediglich vier Einzelti­tel von indis­chen Kriegs­ge­fan­genen auf vier Plat­ten auf. Anders als bei seinen übri­gen 260 Titeln für die Phono­graphis­che Kom­mis­sion han­delt es sich hier um akustis­che Sig­nale mit einem Posthorn und englis­che Militärkommandos.

An dieser Stelle sollen auch die Auf­nah­men von Georg Schüne­mann nicht uner­wäh­nt bleiben. Bei sein­er Auflis­tung der Walzen aus den Kriegs­ge­fan­genen­lagern nen­nt er fol­gende Eth­nien und Stück­zahlen: 16 Gurkha, 4 Sikh, 7 Thakor und 1 Hin­dus­tani.[28]

Inhaltlich gestal­teten sich diese Auf­nah­men in den sel­tensten Fällen so neu­tral, wie es von der Kom­mis­sion intendiert war. Eine der vier Erzäh­lun­gen in Pun­jabi, die von Glase­napp auf­nahm, hat­te direkt mit einem Wun­sch der Internierten zu tun, der mit dem Lager und der religiösen Ein­stel­lung der Sikh in Verbindung ste­ht. Die Plat­te PK 676 wurde von Sun­dar Singh am 5. Jan­u­ar 1917 unter dem all­ge­meinen Titel „Erzäh­lung“ besprochen. Um scharfe Kri­tik an dem Umgang der Lager­leitung mit den religiösen Gefühlen der Sikh zu üben, lobte er zunächst die Leben­sum­stände in über­mäßiger Form:

Om, durch die Gnade des wahren Guru. Der Guru (oder: der Granth) hat mit großer Gnade auf uns geblickt, denn er hat sich uns im frem­den Lande und in dieser Gefan­gen­schaft und in diesem Gefäng­nis gezeigt. Wir sind so glück­lich, daß wir selig sind. Es kann kein größes Glück für uns geben, als dieses; es ist größer als selb­st das Glück des Friedens. Die religiöse Ver­samm­lung ist dadurch glück­lich. Wir betra­cht­en den Granth Sahib als das Eben­bild des 10 Gurus und verehren ihn sehr. Wenn irgen­dein­er ihn nicht ehrt, oder ihn nicht ehren will, so wird jed­er Singh bere­it sein, entwed­er an diesem Ort sein Leben zu geben, oder wird es nicht dulden, ihn [den Granth] entehrt zu lassen. Bis jet­zt hat unser Guru Saheb [d.h. der Granth] keine Decke erhal­ten. Wären wir in Indi­en und hätte unser Guru Sahib keine Decke, so wür­den wir keine Speise zu uns genom­men haben. Wir haben viel ver­sucht, aber unser Guru Sahib hat bis jet­zt noch keine Decke erhal­ten. Wenn wir an diesem Ort keine Speise essen wür­den, so wür­den wir sehr schnell ster­ben, weil in unseren Kör­pern keine Kraft ist, denn Sie wis­sen, dass diese (Leute) kein Essen wie in Indi­en erhal­ten. Deshalb kön­nen wir das Essen nicht aufgeben. Daß die Englän­der uns unseren Guru Granth Sahib gesandt haben, was hat das für einen Zweck? Denken Sie sel­ber über diese Sache nach und geben Sie uns schnell Antwort.

Wenn wir die Bewohn­er Deutsch­lands sehen, sind wir sehr glück­lich, aber wir glauben, dass die Deutschen von uns nicht so denken, wie wir von ihnen. Wenn die Deutschen so dächt­en, so wür­den sie das Haus [d.h. den Tem­pel] unseres Gurus [d.h. des Granth] ehren.

P.S. Bezieht sich auf den Wun­sch der Gefan­genen, für ihr heiliges Buch, den “Granth” eine Decke zu erhal­ten.[29]

Nicht immer wurde Kri­tik an der Lager­si­t­u­a­tion so offen vor­ge­tra­gen. Oft­mals wur­den das zer­mür­bende Dasein als Gefan­gener und die Ansicht­en und Gefüh­le in der dezen­ten Form ein­er Fabel, eines Märchens oder ein­er Anek­dote zum Aus­druck gebracht, wie in dem fol­gen­den Beispiel, das eben­falls zu dem von Glase­napp aufgenomme­nen Bestand gehört:

Ein Bauer war mit einem Tiger befre­un­det. Die Fre­und­schaft war sehr gross. Bei­de pflegten zusam­men Brot zu essen. Eines Tages kam der Tiger in das Haus des Bauern. Die Frau des Bauern sagte: ‚Du hast Fre­und­schaft geschlossen mit Schakalen, Wölfen und Tigern, hast du gar kein Schamge­fühl? Seit­dem der Tiger in unser Haus kommt, herrscht im Hause ein sehr schlechter Geruch.‘ Als der Tiger dies hörte, geri­et er in Zorn und ging aus dem Hause her­aus. Der Bauer brach mit ihm auf. Der Tiger sagte zu dem Bauer: ‚Du bist nur dann mein Fre­und, wenn du mit ein­er Axt auf meinen Kopf schlägst.‘ Da leis­tete der Bauer seinem Wun­sch Folge und schlug mit der Axt, dann ver­liess der Tiger ihn. Als nach einem Jahr der Tiger den Bauern wieder traf, da sagte der Tiger: ‚Jet­zt sieh mal die Wunde der Axt, mit der du auf meinen Kopf geschla­gen hast.‘ Als der Bauer nach der Wunde sah, da war keine Wunde mehr vorhan­den. Der Tiger sagte: ‚Die Wunde, die von der Axt her­rührte, die ist jet­zt ver­schwun­den, das aber, was deine Frau gesagt hat, das ist eine Wunde für mein ganzes Leben gewor­den. Jet­zt ist die Fre­und­schaft zwis­chen uns aus.‘ Sieh, mein Lieber, diese Rede hat sog­ar ein Tier nicht vergessen, wie kön­nte ein Mann etwas (der­ar­tiges) vergessen?[30]

Unab­hängig davon, ob es sich um eine über­lieferte oder erst im Lager ent­standene Geschichte han­delt, ist hier entschei­dend, dass sie in einem Gefan­genenkon­text vor­ge­tra­gen wurde. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass sich Ish­mer Singh hier in der Rolle des Tigers befand, der mit dieser Geschichte seinen nach außen nicht sicht­baren Wun­den Aus­druck ver­lei­hen wollte, die von Krieg und Gefan­gen­schaft herrühren.

Die im ersten Teil des Textes erwäh­n­ten Palatogramme und Rönt­ge­nauf­nah­men waren nicht die einzi­gen Unter­suchun­gen, die in Rich­tung der physis­chen Anthro­polo­gie weisen. Ger­ade die Gefan­genen des „Halb­mond­lagers“ wur­den häu­fig Gegen­stand anthro­pol­o­gis­ch­er Unter­suchun­gen. Auf Ein­ladung von Felix von Luschan (Königlich­es Muse­um für Völk­erkunde in Berlin, Pro­fes­sor für Anthro­polo­gie an der Berlin­er Uni­ver­sität) führten der Öster­re­ich­er Rudolf Pöch und sein Assis­tent Josef Weniger Unter­suchun­gen an west­afrikanis­chen Gefan­genen durch, die erst 1927 in Wien veröf­fentlicht wur­den.[31] Pöch führte in öster­re­ichis­chen und ungarischen Kriegs­ge­fan­genen­lagern in weitaus größerem Maßstab anthro­pol­o­gis­che Stu­di­en durch, zu deren Ergänzung die Dat­en aus dem „Halb­mond­lager“ herange­zo­gen wer­den soll­ten. Egon von Eick­st­edt, ein Schüler von Luschans, führte Kör­per­ver­mes­sun­gen an den Sikh durch, um hier­aus eine Typolo­gie zu erar­beit­en, ein Ver­such, der let­ztlich scheit­erte.[32]

Bei allen Aktiv­itäten der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion fällt auf, dass die von ihr betriebe­nen Doku­men­ta­tio­nen nicht dazu dien­ten, die Indi­vid­u­al­ität ein­er Per­son zu beto­nen. Das Gegen­teil ist der Fall: die Indi­vid­u­al­ität der Gefan­genen wurde nur als eine Aus­prä­gung auf ein­er soziokul­turellen Matrix fest­ge­hal­ten. Der Zweck des Fra­gen­bo­gens bestand einzig darin, den Internierten in ein beste­hen­des Eth­nien-Sprachen-Schema einzuord­nen. Alle darüber hin­aus­ge­hen­den Infor­ma­tio­nen waren für die Phono­graphis­che Kom­mis­sion nicht von Belang. Auch wurde es nicht als Man­gel gew­ertet, dass die Erhe­bun­gen ohne kul­turellen Kon­text durchge­führt wur­den. Hier­an lässt sich auch die Ver­schränkung der Samm­lungsstrate­gie mit der herrschen­den Poli­tik aufzeigen. Die Phono­graphis­che Kom­mis­sion ver­fol­gte mit ihrer Doku­men­ta­tion von Sprachen und Musik­stilen das Ziel, den repräsen­ta­tiv­en, weltweit­en Ansprüchen ein­er Kolo­nial­macht zu genü­gen. Es sollte auf diese Weise das wel­tumspan­nende Kul­tur­in­ter­esse der Deutschen und deren Streben nach Anerken­nung als Kolo­nial­macht unter­strichen wer­den. Die Idee Doe­gens war nicht nur, ein Stim­men­mu­se­um als Selb­stzweck zu erricht­en, son­dern er ver­fol­gte auch weit­erge­hende kom­merzielle Absicht­en. Zum Beispiel soll­ten die Auf­nah­men nach einem für das Deutsche Reich erfol­gre­ichen Aus­gang des Krieges bei der lan­dessprach­lichen Aus­bil­dung von Kolo­nial­beamten einge­set­zt werden.

Die erhobe­nen Dat­en in den Per­son­al­bö­gen führten wed­er auf, aus welchen famil­iären Umstän­den der Internierte stammte, noch wie es über­haupt dazu kam, dass er in den Krieg zog. Da die Sprachauf­nah­men ein ein­ma­liger Akt waren und kein weit­erge­hen­des Inter­esse an dem Schick­sal des Gefan­genen bestand, find­en sich auch keine Angaben darüber, ob er die Gefan­gen­schaft über­lebte und ob er in sein Heimat­land zurück­kehrte, ob er eine Fam­i­lie grün­dete oder ohne Nach­fahren blieb.

Der Personalbogen eines südasiatischen Kriegsgefangenen
Abb. 3: Der Per­son­al­bo­gen des Gefan­genen Sib Singh aus dem Pun­jab, Lautarchiv der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin [LA-HUB], PK 610]

Diese Beispiele sollen verdeut­lichen, welche Art von Infor­ma­tio­nen in dem Archiv fehlen. Ander­er­seits gibt es kaum ein anderes his­torisches Schal­larchiv, das über so reich­haltige Dat­en zu seinen Auf­nah­men ver­fügt. Auch wenn die Infor­ma­tio­nen nicht voll­ständig sind, so hat das Lautarchiv eine gün­stige Aus­gangslage, die weit­ere Forschun­gen nach Nach­fahren und weit­eren Infor­ma­tio­nen ermöglicht. Deswe­gen birgt dieses Archiv für Wis­senschaftler und Wis­senschaft­lerin­nen die Möglichkeit, Krieg nicht nur auf abstrak­te Weise als einen zwis­chen­staatlichen Kon­flikt zu betra­cht­en; son­dern nach per­sön­lichen Schick­salen zu forschen und die Geschichte des Krieges auch von einem indi­vidu­ellen Stand­punkt aus zu erforschen.

Alois Bran­dl schrieb 1925 über die Qual­itäten der von ihm in den Kriegs­ge­fan­genen­lagern gesam­melten akustis­chen Quellen britis­ch­er Dialekte:

Überblicke ich das Mate­r­i­al, das ich in 15 Lagern zusam­men­holte, aus sum­marisch­er Beobach­tung von etwa 1000 Dialek­t­sprech­ern und aus genauer Aushorchung von 75, so hat es bei aller Bun­theit der Herkun­ft eine Eigen­schaft, die durchge­ht: es ist nicht aus Büch­ern oder Zeitun­gen geschöpft, son­dern aus dem Leben. […] Hier erklingt ein Chor von Krieg­steil­nehmern, deren Stim­men son­st ver­hallt wären; sie wer­den nach Jahrhun­derten noch reden als jen­er Teil von Eng­lands Seele, der in kri­tis­ch­er Zeit zu han­deln und zu dulden, doch öffentlich nichts zu sagen hat­te. Gute Ker­le, wie uner­müdlich habt Ihr Eure Sprüch­lein wieder­holt, bis sie ein­gelegt waren im Muse­um der Linguistik!

[…]

Eines Tages wird das bessere Eng­land, […], wieder erwachen und diese Kul­tur­ar­beit mit­ten im ärg­sten Waf­fengetüm­mel der Welt­geschichte würdi­gen; bis dahin mag sie ruhig als bloße „Dialek­tolo­gie“ im Winkel ste­hen, als bizarres Philolo­gen­tum, als deutsche Träumerei.[33]

Von allen hier genan­nten Wis­senschaftlern, die im „Halb­mond­lager“ akustis­che Auf­nah­men unter südasi­atis­chen Kriegs­ge­fan­genen durchge­führt haben, ist Alois Bran­dl neben Hein­rich Lüders [34] der einzige, der zu den Forschun­gen und Auf­nah­men in Kriegs­ge­fan­genen­lagern in dem 1925 erschiene­nen Buch „Unter frem­den Völk­ern“ Bezug nimmt. Die drei in dem Buch pub­lizierten Auf­sätze von Hel­muth von Glase­napp gehen wed­er auf die Sit­u­a­tion im Gefan­genen­lager noch auf die von ihm erstell­ten Auf­nah­men ein.[35] Auch der Auf­satz von Friedrich Carl Andreas enthält keine Andeu­tung hin­sichtlich sein­er Besuche in einem Gefan­genen­lager.[36] Josef Horovitz ver­weist zumin­d­est im let­zten Absatz seines Artikels über „Die indis­chen Mohammedan­er“ auf seine Tätigkeit in Kriegs­ge­fan­genen­lagern.[37]

Auch in den Beglei­theften zu den Schel­lack­plat­ten der Lautabteilung, die die phonetis­che Umschrift und Translit­er­a­tion der Plat­ten­in­halte in gedruck­ter Form enthal­ten, wer­den zwar auf Grund­lage der Per­son­al­bö­gen die Lebenssta­tio­nen der Aufgenomme­nen und ihre Sprachken­nt­nisse erwäh­nt , aber es gibt keinen Hin­weis auf die Entste­hung der Auf­nah­men in Internierungslagern.[38]

Schlussbetrachtung

Für diejeni­gen, die die Sit­u­a­tion von Südasi­at­en – inhaftiert in deutschen Internierungslagern während des Ersten Weltkrieges – näher unter­suchen wollen, ist eine beson­dere Quel­len­gat­tung vorhan­den. Ein akustis­ches Doku­ment, die Schel­lack­plat­te, liefert Infor­ma­tio­nen ganz eigen­er Art. Stim­men im Orig­inal­ton geben Zeug­nis ein­er außergewöhn­lichen Sit­u­a­tion. Trotz des Rauschens und Knis­terns geben die Auf­nah­men ein Gefühl der Unmit­tel­barkeit, geschaf­fen nicht zulet­zt durch die Tech­niken, die von Beginn an für Tonauf­nah­men benutzt wur­den. Diese Ton­doku­mente sind Teil des kul­turellen Erbes und bieten Lin­guis­ten, His­torik­ern, Kul­tur- und Lit­er­atur­wis­senschaftlern und ‑wis­senschaft­lerin­nen aus allen Län­dern ein unschätzbar­er Kor­pus an Forschungsmaterial.

Die Über­spielung des Kernbe­standes der Schel­lack­plat­ten aus den Jahren 1915–1944 kon­nte gemein­sam mit dem Auf­bau der Daten­bank im Feb­ru­ar 2005 abgeschlossen wer­den. Die dig­i­tal­en Dateien dieser ins­ge­samt 3.825 Plat­ten liegen nun in WAV-For­mat und als MP3-Dateien für den Gebrauch in der Daten­bank vor. Da auf ein­er Plat­ten­seite oft­mals mehr als eine Auf­nahme vorhan­den war, gin­gen aus den über­tra­ge­nen Plat­ten ins­ge­samt 6.806 Daten­sätze her­vor. Auf­grund der umfassenden Doku­men­ta­tion zu den einzel­nen Auf­nah­men hat sich das Lautarchiv als inter­na­tionale Ref­eren­zstelle für ähn­liche akustis­che Samm­lun­gen etabliert.

In den let­zten Jahren dien­ten die Doku­mente des Lautarchivs unter anderem auch als Grund­lage für Ausstel­lun­gen und Film­pro­duk­tio­nen. In Bezug auf die Auf­nah­men von Sprachen und Musik Südasiens ist hier ins­beson­dere Philip Scheffn­ers Film- und Ausstel­lung­spro­jekt „The Half­moon Files“ zu nen­nen. Aus­gangs­ba­sis sein­er Recherchen bilde­ten die Sprachauf­nah­men im Lautarchiv von Sol­dat­en aus Britisch-Indi­en.[39]

Der Beginn des Ersten Weltkrieges liegt 100 Jahre zurück. Diese Zeitspanne sollte es ges­tat­ten, das gesam­melte Mate­r­i­al, welch­es nicht nur ein mehrsprachiger Träger von Sprach­proben, son­dern auch ein bedeu­ten­der kul­turhis­torisch­er Bestand ist, zu evaluieren und umfassend, aus ver­schiede­nen akademis­chen Per­spek­tiv­en zu analysieren. Diese Forschung sollte durch Wis­senschaftler und Wis­senschaft­lerin­nen mit mut­ter­sprach­lichen Ken­nt­nis­sen aus den jew­eili­gen Regio­nen durchge­führt wer­den, da sie über die besten Voraus­set­zun­gen ver­fü­gen, um die ver­schiede­nen phonetis­chen, seman­tis­chen und prag­ma­tis­chen Infor­ma­tion­sebe­nen des akustis­chen Mate­ri­als zu entwirren und sie in ihre entsprechende kul­turellen und his­torischen Kon­texte zu bringen.

Endnoten

[1]  <http://www.sammlungen.hu-berlin.de>, Rev. 2013-02-28. Derzeit ist als Abfrage­sprache nur Deutsch möglich. Da die Daten­bank eine Rei­he weit­er­er Samm­lun­gen umfasst, bietet sich zur alleini­gen Suche im Bestand des Lautarchivs unter „The­saurus“ eine Ein­schränkung auf Sprachen bzw. Sprach­fam­i­lien an. Aus Urhe­ber­rechts­grün­den sind in der Online-Ver­sion der Daten­bank die Sound­dateien nicht abhörbar.

[2] Doe­gen, Wil­helm (Hg.). Unter frem­den Völk­ern — Eine neue Völk­erkunde. Berlin: Otto Stoll­berg – Ver­lag für Poli­tik und Wirtschaft, 1925. S. 9. Der heutige Bestand der Samm­lung entspricht dieser Ein­teilung Doe­gens, jedoch set­zt der Sam­mel­be­ginn der einzel­nen Bere­iche zu unter­schiedlichen Zeit­en ein: ab 1915 Sprachen, Musik und Gesang der Völk­er der Erde, ab 1917 Stimm­por­traits bekan­nter Per­sön­lichkeit­en und ab 1922 deutsche Mundarten sowie „Ver­schiedenes“, wozu auch Tier­stim­men zählen.

[3] Carl Stumpf grün­dete das Phono­gramm-Archiv an der Friedrich-Wil­helms-Uni­ver­sität 1905 mit akustis­chen Auf­nah­men, die er bere­its seit 1900 auf Edi­son Wach­swalzen aufgenom­men hat­te. Das Phono­gramm-Archiv ist heute Teil des Eth­nol­o­gis­chen Muse­ums in Berlin. Simon, Arthur (Hg.). Das Berlin­er Phono­gramm-Archiv 1900–2000 — Samm­lun­gen der tra­di­tionellen Musik der Welt, Berlin: Ver­lag für Wis­senschaft und Bil­dung, 2000. S. 25–46.

[4] Alle genan­nten Zahlen basieren auf der Doku­men­ta­tion der 1.650 gram­mo­phonis­chen Plat­te­nauf­nah­men der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion, die heute im Lautarchiv der Hum­boldt-Uni­ver­sität unterge­bracht sind.

[5] Öster­re­ich-Ungarn war Bünd­nis­part­ner des Deutschen Reiches.

[6] Simon, Phono­gramm-Archiv, S. 237. Die Plat­ten der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion tra­gen das Siegel „PK“, wohinge­gen das der Edis­onzylin­der „Phon. Komm.“ lautet. Die Inhalte der Wach­swalzen sind nicht Gegen­stand dieses Artikels.

[7] Grund­lage der Grün­dung war Doe­gens „Denkschrift über die Errich­tung eines ʻDeutschen Lau­tamtes’ in Berlin“. Manuskript. (Wid­mung: Sein­er Exzel­lenz Prof. D. v. Har­nack in Dankbarkeit ehrerbi­etigst zugeeignet vom Verf.). Berlin, 1918.

[8] Geheimes Staat­sarchiv Preußis­ch­er Kul­turbe­sitz [GStAPK], Akten­num­mer 250, Bd. I, Doku­mente 78 und 79.

Sich auf die Sitzung der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion vom 03.02.1919 berufend, drückt dies Carl Stumpf in einem Brief an das Kul­tus­min­is­teri­um vom 12.04.1920 fol­gen­der­maßen aus:

Sie [die Kom­mis­sion] kann daher ein starkes Befrem­den darüber nicht ver­hehlen, dass im Staat­shaushalt­s­plan von 1920 zu diesem Zwecke die Errich­tung ein­er Laut­samm­lung als beson­der­er Abteilung der Staats­bib­lio­thek vorge­se­hen ist, ohne dass die Mei­n­ung der Phono­graphis­chen Kom­mis­sion irgend­wie gehört wor­den wäre.“

[9] Geheimes Staat­sarchiv Preußis­ch­er Kul­turbe­sitz [GStAPK], Akten­num­mer 250, Bd. I, Doku­mente 3 und 4. Ver­trag vom 17.03.1917

[10] Ibid.

[11] Die Leitung der Abteilung Lin­guis­tik über­nahm Diedrich West­er­mann, die der Musik Fritz Bose und die des Phonetis­chen Lab­o­ra­to­ri­ums Franz Wethlo.

[12] Mehn­ert, Dieter, „His­torischen Schal­lauf­nah­men — Das Lautarchiv an der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin“, Elek­tro­n­is­che Sprachsig­nalver­ar­beitung – Siebente Kon­ferenz Berlin. Stu­di­en­texte zur Sprachkom­mu­nika­tion 13 (1996): S. 28 ‑45.

[13] In den Unter­la­gen des Archivs sind diese mit „Sprach­text“ überschrieben.

[14] Doe­gen, Alfred, Anfer­ti­gung von Palatogram­men, wis­senschaftlich­er Wert und Nutzen der­sel­ben für die Zahn­heilkunde. Greif­swald: Adler, 1921 [Auszug aus Doe­gens Dis­ser­ta­tion]. Alfred Doe­gen war ein Brud­er von Wil­helm Doegen.

[15] Siehe: Lange, Brit­ta, „‚Wenn der Krieg zu Ende ist, wer­den viele Erzäh­lun­gen gedruckt wer­den.‘ Südasi­atis­che Posi­tio­nen und europäis­che Forschun­gen im ‚Halb­mond­lager‘“. In: Franziska Roy, et al. (Hg.) Sol­dat Ram Singh und der Kaiser: Indis­che Kriegs­ge­fan­gene in deutschen Pro­pa­gan­dalagern 1914­–1918. Hei­del­berg: Drau­pa­di Ver­lag, 2014. S. 165–208.

[16] In der eigens für sie errichteten Moschee wurde ihnen Gele­gen­heit zur Reli­gion­sausübung gegeben. Auf Schel­lack­plat­te hat sich beispiel­sweise der Gebet­sruf des Muezzins erhal­ten. Erhal­ten haben sich neben den Schel­lack­plat­ten auch zahlre­iche pho­tographis­che Auf­nah­men des Lager­lebens auf Glas­plat­ten. Siehe Kahleyss, Mar­got, „Mus­lime in Bran­den­burg — Kriegs­ge­fan­gene im 1. Weltkrieg: Ansicht­en und Absicht­en“, (=Veröf­fentlichun­gen des Muse­ums für Völk­erkunde Berlin; N.F., 66). Berlin: SMPK, 1998. Sog­ar Fil­mauf­nah­men aus dem Lager (heute im Bun­des­fil­marchiv) liegen vor. Die Filmemach­er Mad­hus­ree Dut­ta und Philip Scheffn­er haben dieses Mate­r­i­al in Verbindung mit Auf­nah­men aus dem Lautarchiv in dem Doku­men­tarfilm „From Here to Here“ (Indi­en 2005, 58 min.) über das deutsch-indis­che Ver­hält­nis benutzt. Die Film­szene aus dem Lager ist eben­so in Scheffn­ers Doku­men­tarfilm „The Half­moon Files“ (Deutsch­land, 2007, 87 min.) enthalten.

[17] In den Klam­mern befind­en sich die Namen der aktuellen Staaten.

[18] Siehe: Liebau, Heike, „Das Deutsche Auswär­tige Amt, Indis­che Emi­granten und pro­pa­gan­dis­tis­che Bestre­bun­gen unter den südasi­atis­chen Kriegs­ge­fan­genen im ‚Halb­mond­lager‘“. In: Franziska Roy, et al. (Hg.) Sol­dat Ram Singh und der Kaiser: Indis­che Kriegs­ge­fan­gene in deutschen Pro­pa­gan­dalagern 1914­–1918. Hei­del­berg: Drau­pa­di Ver­lag, 2014. S. 109–143; Ibid., „Hin­dostan. Eine Zeitung für südasi­atis­che Kriegs­ge­fan­gene in Deutsch­land 1915–1918. In: Franziska Roy, et al. (Hg.) Sol­dat Ram Singh und der Kaiser: Indis­che Kriegs­ge­fan­gene in deutschen Pro­pa­gan­dalagern 1914­–1918. Hei­del­berg: Drau­pa­di Ver­lag, 2014. S. 261–285.

[19] Die Plat­te trägt die Sig­natur PK 626.

[20] Hein­rich Lüders (1869 – 1943):  Ab 1909 Lehrstuhl für altindis­che Sprachen und Lit­er­atur an der Friedrich-Wil­helms-Uni­ver­sität sowie ab dem gle­ichen Jahr Mit­glied der Preußis­chen Akademie der Wis­senschaft. 1931 — 1932 Rek­tor der Friedrich-Wilhelms-Universität.

[21] In den Klam­mern wird die Anzahl einzel­ner Titel genannt.

[22] Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin, Lautarchiv [LA-HUB], Ord­ner Nr. 9 .

[23] Lim­bu (6), Hin­di (5), Paschtu (4), Hin­dus­tani (3), Mag­ar (3), Urdu (2), Rai (1), Gur­mu­ki (1), Mag­a­ri (1).

[24] Hel­muth von Glase­napp (1891 — 1963), Pro­fes­sor für Indolo­gie an der Uni­ver­sität Königs­berg (Ost­preußen, 1928 — 1944), Pro­fes­sor für Ver­gle­ichende Reli­gion­swis­senschaft an der Uni­ver­sität Tübin­gen (1946–1959). Im Ersten Weltkrieg Mitar­beit­er  der Nachricht­en­stelle für den Orient.

[25] Josef Horowitz (1874 — 1931), 1907 bis1915 Dozent in Indi­en. Von 1914 bis 1931 Lehrstuhl für semi­tis­che Sprachen am Ori­en­tal­is­chen Sem­i­nar der Uni­ver­sität Frankfurt.

[26] Friedrich Carl Andreas (1846 — 1930), 1883 – 1903 Dozent für Per­sisch und Türkisch am Ori­en­tal­is­chen Sem­i­nar der Uni­ver­sität Berlin. Ab 1903 Lehrstuhl für Wes­t­asi­atis­che Sprachen an der Uni­ver­sität Göttingen.

[27] Alois Bran­dl (1855 — 1940), nach Lehrstühlen in Prag, Göt­tin­gen, und Straßburg, erhielt er 1895 den Lehrstuhl für Englis­che Philolo­gie in Berlin.

[28] Liste „Samm­lung aus den Kriegs­ge­fan­genen-Lagern“ in: Staatliche Museen zu Berlin Preußis­ch­er Kul­turbe­sitz, Eth­nol­o­gis­ches Muse­um [MEK]. Ohne Inventarnummer.

[29] Über­set­zung der Auf­nahme: LA-HUB, PK 676 (Ord­ner Nr. 9), vor­liegend als Hand­schrift. Alle Ein­fü­gun­gen in Klam­mern befind­en sich in gle­ich­er Weise im Original.

[30]Auf­nahme von Ish­er Singh am 11. Dezem­ber 1916. Über­set­zung der Auf­nahme; LA-HUB, PK 615 (Ord­ner Nr. 9), vor­liegend als Typoskript.

[31] Lange, Brit­ta, „Aca­d­e­m­ic Research on (Coloured) Pris­on­ers of War in Ger­many, 1915–1918“. In: Den­dooven, Dominiek, Piet Chie­lens (Hg.) World War I – Five Con­ti­nents in Flan­ders. Brugge: Lan­noo, 2008. S. 157.

[32] Eick­st­edt, Egon von, „Rassenele­mente der Sikh“. Zeitschrift für Eth­nolo­gie 52 (1920/21): S. 317–394.

[33] Bran­dl, Alois, „Der Anglist bei den Englän­dern“. In: Doe­gen, Wil­helm (Hg.) Unter frem­den Völk­ern. Berlin: Otto Stoll­berg – Ver­lag für Poli­tik und Wirtschaft, 1925. S. 362–376.

[34] Lüders, Hein­rich, „Die Gurkhas“. In: Ibid. S. 126–139.

[35] Glase­napp, Hel­muth von, „Der Hinduismus”/ „Die Radschputen”/ „Die Sikhs”. In: Ibid. S. 116–125, S. 140–150 und S. 151–160.

[36] Andreas, Friedrich Carl, „Iranier”. In: Ibid. S. 376–383.

[37] Horovitz, Josef, „Die indis­chen Mohammedan­er”. In: Ibid. S. 161–166.

[38] Laut­bib­lio­thek – Phonetis­che Plat­ten und Umschriften. Ed. Lautabteilung der Preussis­chen Staats­bib­lio­thek. 1926–1930.

[39] Welt­premiere des Films war auf der 57. Berli­nale im „Inter­na­tionalen Forum des jun­gen Films“ am 16.02.2007. Mehrere inter­na­tionale Ausze­ich­nun­gen fol­gten. <http://www.halfmoonfiles.de> Rev. 2013-02-28.

Sekundärliteratur

Doe­gen, Alfred, Anfer­ti­gung von Palatogram­men, wis­senschaftlich­er Wert und Nutzen der­sel­ben für die Zahn­heilkunde. Greif­swald: Adler, 1921 [Auszug aus Doe­gens Dissertation].

Doe­gen, Wil­helm (Hg.), Unter frem­den Völk­ern — Eine neue Völk­erkunde. Berlin: Otto Stoll­berg – Ver­lag für Poli­tik und Wirtschaft, 1925.

Doe­gen, Wil­helm, „Denkschrift über die Errich­tung eines ʻDeutschen Lau­tamtes’ in Berlin“. Manuskript. (Wid­mung: Sein­er Exzel­lenz Prof. D. v. Har­nack in Dankbarkeit ehrerbi­etigst zugeeignet vom Verf.). Berlin, 1918.

Kahleyss, Mar­got, 1998, „Mus­lime in Bran­den­burg — Kriegs­ge­fan­gene im 1. Weltkrieg: Ansicht­en und Absicht­en“, (=Veröf­fentlichun­gen des Muse­ums für Völk­erkunde Berlin; N.F., 66). Berlin: SMPK, 1998.

Lange, Brit­ta, „Aca­d­e­m­ic Research on (Coloured) Pris­on­ers of War in Ger­many, 1915–1918“. In: Den­dooven, Dominiek, Piet Chie­lens (Hg.) World War I – Five Con­ti­nents in Flan­ders. Brugge: Lan­noo, 2008. S. 153–160.

Lange, Brit­ta, „‚Wenn der Krieg zu Ende ist, wer­den viele Erzäh­lun­gen gedruckt wer­den.‘ Südasi­atis­che Posi­tio­nen und europäis­che Forschun­gen im ‚Halb­mond­lager‘“. In: Franziska Roy, Heike Liebau, Ravi Ahu­ja (Hg.) Sol­dat Ram Singh und der Kaiser: Indis­che Kriegs­ge­fan­gene in deutschen Pro­pa­gan­dalagern 1914­–1918. Hei­del­berg: Drau­pa­di Ver­lag, 2014. S. 165–208.

Liebau, Heike, „Das Deutsche Auswär­tige Amt, Indis­che Emi­granten und pro­pa­gan­dis­tis­che Bestre­bun­gen unter den südasi­atis­chen Kriegs­ge­fan­genen im ‚Halb­mond­lager‘“. In: Franziska Roy, Heike Liebau, Ravi Ahu­ja (Hg.) Sol­dat Ram Singh und der Kaiser: Indis­che Kriegs­ge­fan­gene in deutschen Pro­pa­gan­dalagern 1914­–1918. Hei­del­berg: Drau­pa­di Ver­lag, 2014. S. 109–143.

——–, „Hin­dostan. Eine Zeitung für südasi­atis­che Kriegs­ge­fan­gene in Deutsch­land 1915–1918. In: Franziska Roy, Heike Liebau, Ravi Ahu­ja (Hg.) Sol­dat Ram Singh und der Kaiser: Indis­che Kriegs­ge­fan­gene in deutschen Pro­pa­gan­dalagern 1914­–1918. Hei­del­berg: Drau­pa­di Ver­lag, 2014. S. 261–285.

Mehn­ert, Dieter, „His­torischen Schal­lauf­nah­men — Das Lautarchiv an der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin“, Elek­tro­n­is­che Sprachsig­nalver­ar­beitung – Siebente Kon­ferenz Berlin. Stu­di­en­texte zur Sprachkom­mu­nika­tion 13 (1996): S. 28 ‑45.

Simon, Arthur (Hg.), Das Berlin­er Phono­gramm-Archiv 1900–2000 — Samm­lun­gen der tra­di­tionellen Musik der Welt, Berlin: Ver­lag für Wis­senschaft und Bil­dung, 2000. S. 25–46.

Jürgen‑K. Mahren­holz, Lautarchiv der Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin

MIDA Archival Reflex­i­con

Edi­tors: Anan­di­ta Baj­pai, Heike Liebau
Lay­out: Mon­ja Hof­mann, Nico Putz
Host: ZMO, Kirch­weg 33, 14129 Berlin
Con­tact: archival.reflexicon [at] zmo.de

ISSN 2628–5029