Ein wichtiges Ziel des Langfristvorhabens „Das Mod­erne Indi­en in Deutschen Archiv­en“ (MIDA) ist es, die Bestände deutsch­er Archive zur Geschichte des mod­er­nen Indi­ens und zur deutsch-indis­chen Ver­flech­tungs­geschichte von 1706 bis 1989/90 sys­tem­a­tisch in ein­er Daten­bank zu erfassen und inhaltlich zu erschließen und diese Daten­bank der inter­na­tionalen Forschung zur Ver­fü­gung zu stellen.

Über diese Erfas­sung der rel­e­van­ten Bestände hin­aus soll deren Auf­bere­itung in einem dig­i­tal­en Archivführer gewährleis­ten, diese Archiv­dat­en so zu präsen­tieren, dass sie gegen­wär­ti­gen und zukün­fti­gen Forschungs­bedürfnis­sen gerecht werden.

Diese Forschungs­bedürfnisse wer­den durch die his­to­ri­ographis­che Ten­denz zu transna­tionalen und transter­ri­to­ri­alen Per­spek­tiv­en geprägt. Das MIDA-Pro­jekt selb­st ist Aus­druck dieser zunehmenden Öff­nung der Geschichtswis­senschaften: Quel­lenbestände zum mod­er­nen Indi­en in deutschen Archiv­en, die früheren nation­al- aber auch kolo­nial­his­torischen Con­tain­er­per­spek­tiv­en als mar­gin­al erscheinen mussten, treten erst jet­zt ins Zen­trum der Unter­suchung. Zuvor kon­nten ter­ri­to­ri­al­staatlich definierte Per­spek­tiv­en, sei es die ein­er deutschen Nation­algeschichte, sei es die ein­er britisch-indis­chen Kolo­nial­his­to­ri­ogra­phie, Quel­lenbestän­den wenig abgewin­nen, deren Bedeu­tung erst im Zusam­men­spiel mit Mate­ri­alien deut­lich wer­den kon­nte, die aus anderen ter­ri­to­ri­alen Kon­tex­ten her­vorge­gan­gen waren.

Transna­tionale bzw. transter­ri­to­ri­ale Per­spek­tiv­en fokussierten zunächst häu­fig auf die Geschichte von Trans­fers oder gegen­seit­iger Rezep­tion, unter­sucht­en also bilat­erale Beziehun­gen bzw. Trans­fer­ach­sen, die den ter­ri­to­ri­alen Rah­men von Nation­al- bzw. Impe­ri­al­his­to­ri­ogra­phien über­schrit­ten. Inzwis­chen sind ver­flech­tungs­geschichtliche Forschungsan­sätze in der Geistes‑, Kul­tur- und Sozialgeschichte, aber auch in postkolo­nialen Stu­di­en weit­ge­hend ver­ankert, und auch deutsch-indis­che Aus­tauschbeziehun­gen wer­den weniger ent­lang von Trans­fer­ach­sen als in größeren ver­flech­tungs­geschichtlichen Zusam­men­hän­gen untersucht.

Wenn Ver­flech­tungs­geschichte inhaltlich wohl etabliert ist, so scheinen die methodolo­gischen Kon­se­quen­zen dieser his­to­ri­ographis­chen Entwick­lung jedoch bis­lang eher unterbe­leuchtet. Wenn beispiel­sweise indis­che und deutsche his­torischen Akteure kom­plexe Aus­tauschbeziehun­gen eingin­gen, die nicht auf bilat­erale, von ter­ri­to­ri­al­staatlichen Institutio­nen ver­mit­telte Trans­fer­ach­sen reduziert wer­den kön­nen, son­dern in aus­greifende transnatio­nale Net­zw­erke einge­bun­den waren, was bedeutet dies für die Ord­nung der Archiva­lien und die Struk­turen des Archivs? Nun ist das Archiv als Form epis­te­mol­o­gis­ch­er Machtar­tiku­la­tion aus unter­schiedlichen Per­spek­tiv­en bekan­ntlich zum Gegen­stand inten­siv­er philosophis­ch­er und his­torisch­er Reflex­ion gewor­den. Die enge Verbindung zwis­chen der Logik des Archivs und der insti­tu­tionellen Logik von Mach­tap­pa­rat­en, ins­beson­dere von staatlichen (nationalen oder impe­ri­alen) Mach­tap­pa­rat­en, liegt heute offen zutage. Welche Kon­se­quen­zen hat es aber, wenn wir, im Rah­men des MIDA-Langfristvorhabens, nicht nur mit unser­er Forschung die konzep­tionellen Con­tain­er der Ter­ri­to­ri­al­staat­en ver­lassen, son­dern Archiva­lien in neue Beziehung zueinan­der brin­gen und in gewiss­er Weise ein neues „Meta-Archiv“ produzieren?

Auf diese Fragestel­lun­gen will das Pro­jekt reagieren, indem es in der Präsen­ta­tion der Bestände in der Daten­bank die Archive zunächst als sin­guläre, insti­tu­tionell und ter­ri­to­r­i­al abge­gren­zte Auf­be­wahrung­sorte nimmt und deren Eigen­logik fol­gt. Gle­ichzeit­ig ist aber Ziel des zu erar­bei­t­en­den Archivführers, die Dat­en als Net­zw­erk der Archiva­lien entsprechend der Forschungs­fra­gen auf neue Weise sicht­bar zu machen und somit „das Archiv“ ent­ge­gen insti­tu­tioneller und ter­ri­to­ri­aler Eigen­logiken neu zu ordnen.