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Indisch-Deutsche Geistesgeschichte — Religion und Spiritualität im Kaiserreich und der Weimarer Republik (1871–1933)

Pro­jek­tver­ant­wortlich­er: Dr. Mar­tin Christof-Füch­sle
Leitung: Prof. Dr. Ravi Ahu­ja
Pro­jek­t­sta­tus: laufend

Das Gesamt­pro­jekt leis­tet einen Beitrag zur Erforschung geis­tes­geschichtlich­er Ver­flech­tung­sprozesse zwis­chen Indi­en und Deutsch­land. Der Bear­beit­er wird die Entwick­lun­gen im Deutschen Reich nach 1871 bis zum Ende der Weimar­er Repub­lik in den Blick nehmen. Um 1920 ist ein­er­seits eine all­ge­meine Fasz­i­na­tion der deutschen Öffentlichkeit für Indi­en zu kon­sta­tieren. Andr­er­seits find­en seit dem Ende des 19. Jahrhun­derts über die Rezep­tion des Bud­dhis­mus sowie die theosophis­che Bewe­gung indis­che Konzepte wie die Lehre von kar­ma und Wiederge­burt oder Prak­tiken wie yoga ihren Weg in soziale und kul­turelle Bewe­gun­gen der Leben­sre­form. Bei den dabei pro­duzierten Indi­en­bildern wird der Ein­fluss nicht nur promi­nen­ter Vertreter der indis­chen Kul­tur in Deutsch­land (etwa Rabindranath Tagore), son­dern auch weniger bekan­nter Inder und deren Inter­ak­tion mit deutschen Gelehrten, Intellek­tuellen und Kün­stlern in unter­schiedlichen Bere­ichen deut­lich. Unter Berück­sich­ti­gung der Rezep­tion deutsch­er Vorstel­lun­gen von Indi­en und vor allem auch der in Britisch-Indi­en entste­hen­den Diskurse soll die Reflex­iv­ität des Aus­tausches in den Blick genom­men und Prozesse und Prak­tiken gegen­seit­iger Inter­pre­ta­tio­nen, Aneig­nun­gen und Bere­icherun­gen analysiert wer­den, um so herkömm­liche Bilder von Ori­ent und Okzi­dent zu überwinden.

Als Quellen sind ein­er­seits Pub­lika­tio­nen der Indolo­gen dieser Zeit zu betra­cht­en, vor allem solche, die für ein bre­it­eres Pub­likum geschrieben wur­den. Für den Bere­ich des Bud­dhis­mus, der theosophis­chen Bewe­gung sowie der unter­schiedlichen Grup­pierun­gen im leben­sre­formerischen Spek­trum wird pub­liziertes Mate­r­i­al kon­sul­tiert, vor allem Zeitschriften, die wichtige Medi­en der Diskus­sion waren. Darüber hin­aus sind die Nach­lässe von Pro­tag­o­nis­ten wie etwa der umfan­gre­iche Nach­lass Wil­helm Hübbe-Schlei­dens in der Hand­schriften­abteilung der Staats- und Uni­ver­sitäts­bib­lio­thek (SUB) Göt­tin­gen rel­e­vant. In ver­schiede­nen Spezialarchiv­en, wie dem Archiv der deutschen Jugend­be­we­gung, aber auch in Staats- und städtis­chen Archiv­en find­et sich weit­eres Mate­r­i­al. Die Sichtweise der etablierten christlichen Reli­gion­s­ge­mein­schaften auf die Konkur­renz in Form von neuen Reli­gio­nen oder Reform­be­we­gun­gen find­et sich in deren Archiv­en, wie etwa dem Bestand der Apolo­getis­chen Cen­trale im Archiv des Diakonis­chen Werks, Berlin.

Das Pro­jekt bietet die Möglichkeit, Archiv­ma­te­ri­alien für MIDA zu lokalisieren und zu erschließen, die sich auf die Indi­en­rezep­tion von Lebensreform‑, Jugend­be­we­gung, Bud­dhis­mus und Theoso­phie beziehen. Darüber hin­aus kann es über eine Vielzahl involviert­er Pro­tag­o­nis­ten zeigen, dass der intellek­tuelle Aus­tausch keine ein­seit­ige Angele­gen­heit war, die nur in der Rezep­tion und Inter­pre­ta­tion indis­chen Gedankenguts durch Deutsche bestanden hätte. Vielmehr wur­den diese Inter­pre­ta­tio­nen von indis­chen Intellek­tuellen hin­ter­fragt. Im Fall von Swa­mi Vivekanan­da z.B. ist ein­er­seits zu betra­cht­en, inwiefern seine Vorstel­lun­gen von Vedan­ta und Reformhin­duis­mus durch den Dia­log mit Paul Deussen, dem Indolo­gen und Philosophen, mit­bee­in­flusst sind; andr­er­seits wirkt Vivekanan­da mit seinen pop­ulären Werken zum Yoga prä­gend für die west­liche, auch deutsche Rezep­tion dieser Tra­di­tion. So lässt sich aufzeigen, dass der Aus­tausch ein interkul­turell dial­o­gis­ch­er war, der auch durch die Hand­lungs- und Deu­tungs­macht der indis­chen Part­ner gekennze­ich­net ist.

Aktuelles Forschungsvorhaben:

Okkul­tismus, Theoso­phie und ‚Ver­nun­ftre­li­gion‘ – indisch-deutsche Ver­flech­tun­gen und religiöse Strö­mungen im Kaiser­re­ich (1871–1918).

Zen­trales The­ma des aktuellen Forschungsvorhabens ist die Entwick­lung der Theoso­phie in Deutsch­land, die ein­er­seits Affinitäten zu west­lichem Okkul­tismus, Spiritismus und Eso­terik aufweist, ander­er­seits aber zu einem wichti­gen Medi­um der Ver­bre­itung indis­ch­er religiös­er Konzepte wie der Lehre von kar­ma und Wiederge­burt wird. Auch die begin­nende Rezep­tion von Yoga als Philoso­phie und Prax­is im Kaiser­re­ich find­et wesentlich im Umfeld der theosophis­chen Bewe­gung statt. Schließlich ist auch die ver­stärk­te Rezep­tion des Bud­dhis­mus im Deutsch­land des aus­ge­hen­den 19. Jahrhun­derts sowie die Etablierung erster bud­dhis­tis­ch­er Vere­ine und Gemein­schaften zwis­chen Jahrhun­der­twende und dem Ersten Weltkrieg unter anderem im Zusam­men­hang mit der Pop­u­lar­isierung des Bud­dhis­mus durch die erste Genera­tion der theosophis­chen Leit­fig­uren (bes. Hen­ry Steel Olcott  mit „Bud­dhist Cat­e­chism“) zu sehen. Darüber hin­aus bestanden, zum Beispiel im Ver­lagswe­sen, zumin­d­est anfänglich organ­isatorische Verbindun­gen zwis­chen deutschen Theosophen und Bud­dhis­ten, während es in der Folge zu Abgren­zungs­be­stre­bun­gen kam.

Bei der Analyse der kom­plex­en spir­ituell-religiösen Entwick­lun­gen konzen­tri­ert sich der Bear­beit­er auf Wil­helm Hübbe-Schlei­den (1846–1916), früher Kolo­nialag­i­ta­tor, Afri­ka- und Indi­en­reisender sowie Yogaprak­tik­er. Als wichtige Fig­ur in der Geschichte der deutschen Theoso­phie ver­fügte er ein­er­seits über Kon­tak­te sowohl zum deutschen Okkul­tismus als auch zum völkischen und vor allem auch kolo­nialapolo­getis­chen Milieu. Ander­er­seits hat­te er, beson­ders nach seinem Indi­en­aufen­thalt 1894–1896, neben der Ein­bindung in die Kreise indis­ch­er Theosophen auch Kon­tak­te zu Hin­du-Reformern, Pro­pa­gan­dis­ten ein­er Wieder­bele­bung des Bud­dhis­mus in Indi­en sowie zu brah­man­is­chen Gurus und Intellek­tuellen. Abge­se­hen von seinen umfan­gre­ichen Pub­lika­tio­nen zur Theoso­phie in Zeitschriften­beiträ­gen und Mono­gra­phien sowie lan­deskundlichen Darstel­lun­gen (Indi­en und die Indi­er, 1898), ist sein umfan­gre­ich­er Nach­lass mit Kor­re­spon­denz, Tage­büch­ern und unveröf­fentlicht­en Manuskripten, der sich in der Hand­schriften­abteilung der SUB Göt­tin­gen befind­et, von beson­der­er Wichtigkeit. Auf­grund dieser Quellen ergibt sich das Bild ein­er facetten­re­ichen Gestalt in einem transna­tionalen Net­zw­erk geis­tes­geschichtlich­er Beziehun­gen, die den Aus­gangspunkt für die Darstel­lung der religiös-spir­ituellen Entwick­lun­gen im Kaiser­re­ich in ihrer Ver­flech­tung mit indis­chen Konzepten und Akteuren bilden soll.

Ziel ist es, über die Rekon­struk­tion der jew­eili­gen Vorstel­lun­gen des Anderen, also deutsche Ori­ent- sowie indis­che Okzi­dent-Bilder, hin­auszuge­hen. Stattdessen sollen indis­che Stim­men bzw. soll die Rolle indis­ch­er Akteure bei der Gestal­tung der ver­schränk­ten Diskurse von Yoga, Theoso­phie und Bud­dhis­mus deut­lich gemacht wer­den. Diese Herange­hensweise will die Fokussierung auf die deutschen Indi­en­bilder, wie sie etwa Per­ry Myers Mono­gra­phie, Ger­man Visions of India, 1871–1918: Com­man­deer­ing the Holy Ganges dur­ing the Kaiser­re­ich, kennze­ich­net, inhaltlich und konzep­tionell über­winden. Es geht darum zu zeigen, dass es jen­seits der damals gängi­gen Bilder von „East and West“ interkul­turelle Kon­tak­te gab, die auf gegen­seit­iger Wahrnehmung beruht­en und die über die reine Rezep­tion und Inwert­set­zung des jew­eili­gen Stereo­typen von okzi­den­taler Ratio­nal­ität und ori­en­tal­is­ch­er Spir­i­tu­al­ität hinausgingen.

Indo-German Intellectual History — Religion and Spirituality in Imperial Germany and the Weimar Republic (1871–1933)

Project Man­ag­er: Dr. Mar­tin Christof-Füch­sle
Direc­tion: Prof. Dr. Ravi Ahu­ja
Project Sta­tus: running 

The project aims at fur­ther­ing the analy­sis of process­es of entan­gle­ments between India and Ger­many in the sphere of intel­lec­tu­al his­to­ry. The focus is on the devel­op­ments in the era of Impe­r­i­al Ger­many as well as the Weimar Repub­lic. Around the year 1920 on the one hand, there is a pal­pa­ble fas­ci­na­tion of the Ger­man pub­lic with every­thing Indi­an. On the oth­er, from the end of the 19th cen­tu­ry onwards, Indi­an con­cepts as for exam­ple the doc­trine of kar­ma and rein­car­na­tion, as well as cul­tur­al prac­tices like yoga find their way into social and cul­tur­al move­ments belong­ing to the range of Leben­sre­form via the recep­tion of Bud­dhism and the Theo­soph­i­cal soci­eties. While trac­ing these devel­op­ments and the images of India that they pro­duce, it is intend­ed to cap­ture not only the influ­ence of promi­nent pro­tag­o­nists of Indi­an cul­ture in Ger­many (e.g. Rabindranath Tagore), but also that of less known Indi­ans and their inter­ac­tions with Ger­man schol­ars, intel­lec­tu­als and artists in var­i­ous fields. Tak­ing into account the recep­tion of and reac­tions to the Ger­man images of India as well as the dis­cours­es result­ing in the sub­con­ti­nent, an attempt is made to pro­vide a view of Indo-Ger­man entan­gle­ments that goes beyond the dis­cus­sion of imageries of ‘the Ori­ent’ or ‘the Occi­dent’, respec­tive­ly, in ana­lyz­ing mutu­al per­son­al encoun­ters and inter­ac­tions in the sense of a transna­tion­al history.

Sources on which the project draws are the writ­ings of the Indol­o­gists of the era under scruti­ny, espe­cial­ly those intend­ed to reach a broad­er pub­lic. With respect to Bud­dhism, the Theo­soph­i­cal soci­eties as well as the var­i­ous groups belong­ing to the range of Leben­sre­form, pub­lished mate­r­i­al has to be con­sult­ed, first and fore­most that to be found in jour­nals, which were impor­tant forums of dis­cus­sion. Fur­ther, per­son­al papers and lit­er­ary estates of pro­tag­o­nists are impor­tant, as e.g. the volu­mi­nous papers of the lead­ing Ger­man theosophist Wil­helm Hübbe-Schlei­den, kept / housed in the Göt­tin­gen State and Uni­ver­si­ty Library. In var­i­ous spe­cial archives (as e.g. that of the Ger­man Youth Move­ment), but also state and com­mu­nal archives there is fur­ther mate­r­i­al to indi­vid­ual move­ments and asso­ci­a­tions. The take of the estab­lished Chris­t­ian church­es on those new reli­gious groups or reform move­ments is to be gleaned from mate­r­i­al in the church archives, as e.g. the files of the Apolo­getis­che Cen­trale kept in the Archiv des Werkes für Diakonie und Entwick­lung, Berlin.

The project pro­vides the oppor­tu­ni­ty to local­ize and make acces­si­ble archival mate­r­i­al relat­ing to the recep­tion of India in the Leben­sre­form and Youth move­ments, Bud­dhism and Theos­o­phy. Fur­ther, it will show that the intel­lec­tu­al exchange was not restrict­ed to a uni­di­rec­tion­al trans­fer or recep­tion of Indi­an con­cepts by Ger­mans and the sub­se­quent pro­duc­tion of author­i­ta­tive inter­pre­ta­tions of those. More often than not, the exchange was based on dia­logue and thus also char­ac­ter­ized by the agency of the indi­vid­u­als and groups on the Indi­an side.

Current Research:

Occultism, Theos­o­phy and the ‚reli­gion of rea­son‘ – Indo-Ger­man entan­gle­ments and reli­gious move­ments in Impe­r­i­al Ger­many (1871–1918).

A cen­tral focus of the cur­rent project is the devel­op­ment of Theos­o­phy in Ger­many, a move­ment show­ing affini­ties to West­ern occultism, Spiritism and eso­teri­cism. On the oth­er hand, it devel­oped into an impor­tant vehi­cle of dis­sem­i­nat­ing Indi­an reli­gious con­cepts as e.g. the doc­trine of kar­ma and rein­car­na­tion. The ini­tial recep­tion of yoga as phi­los­o­phy and spir­i­tu­al prac­tice is also to a great extant hap­pen­ing in the envi­ron­ment of the theo­soph­i­cal move­ment. Final­ly, the height­ened inter­est in Bud­dhism in the last decades of the 19th cen­tu­ry in Ger­many as well as the estab­lish­ment of the ear­li­est Bud­dhist asso­ci­a­tions and com­mu­ni­ties between the turn of the cen­tu­ry and the First World War is also to be seen in rela­tion to the pop­u­lar­iza­tion of Bud­dhism by the first gen­er­a­tion of theo­soph­i­cal lead­ers (esp. Colonel Olcott and his Bud­dhist Cat­e­chism, 1881). Ini­tial­ly, there had been inter­ac­tion and shared orga­ni­za­tion­al struc­tures (as e.g. pub­lish­ing hous­es) between Ger­man Theos­o­phy and Ger­man Bud­dhists, how­ev­er, soon there devel­oped ten­den­cies to high­light the incompatibilities.

For the analy­sis of the com­plex spir­i­tu­al and reli­gious devel­op­ments the research will focus on Wil­helm Hübbe-Schlei­den (1846–1916). He was an impor­tant fig­ure in the his­to­ry and orga­ni­za­tion­al devel­op­ment of Ger­man Theos­o­phy, a for­mer cham­pi­on of the Ger­man colo­nial move­ment, he trav­elled to India in search of spir­i­tu­al progress and prac­ticed yoga even before that. On the one hand, he had affini­ties to Ger­man occultism as well as to the con­ser­v­a­tive ‘völkisch’ milieu. On the oth­er – fol­low­ing his sojourn in India from 1894–1896 – he not only moved in the cir­cles of Indi­an Theosophists, but active­ly sought con­tact with Hin­du reform­ers, pro­po­nents of a Bud­dhist revival in India, as well as Brah­min Gurus and intel­lec­tu­als. In this respect, besides his many pub­li­ca­tions on Theos­o­phy in jour­nals and books as well as region­al stud­ies of South Asia (Indi­en und die Indi­er, 1898), sources of great impor­tance are to be found in his per­son­al papers com­pris­ing let­ters, diaries and unpub­lished man­u­scripts, held in the Man­u­scripts Col­lec­tion of the Göt­tin­gen SUB. From these sources emerges the image of a mul­ti­fac­eted fig­ure embed­ded in a transna­tion­al net­work of intel­lec­tu­al entan­gle­ments, who will be tak­en as a start­ing point for the descrip­tion and analy­sis of the spir­i­tu­al and reli­gious devel­op­ments in Impe­r­i­al Ger­many in its con­nec­tions and inter­ac­tions with Indi­an actors and concepts.

It is the inten­tion of the researcher to move beyond the recon­struc­tion of the mutu­al images of the oth­er, i.e. Ger­man images of “the Ori­ent” and Indi­an images of “the Occi­dent”. Instead, Indi­an voic­es and the role of Indi­an agents in for­mu­lat­ing the inter­twined dis­cours­es of Yoga, Theos­o­phy and Bud­dhism will be high­light­ed. This approach aims to go beyond the focus­ing on Ger­man images of India that is char­ac­ter­is­tic for e.g. Per­ry Myers’ mono­graph Ger­man Visions of India, 1871–1918: Com­man­deer­ing the Holy Ganges dur­ing the Kaiser­re­ich. It will be shown that over and above the then preva­lent images of “East and West”, there were inter­cul­tur­al con­tacts based on mutu­al recog­ni­tion that went beyond the mere recep­tion and val­u­a­tion of the respec­tive stereo­types of occi­den­tal ratio­nal­i­ty and ori­en­tal spirituality.